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Das Ich und die Welt

Wer ist Greta Thunberg? Mit „Szenen aus dem Herzen“ liegt ein Bericht aus dem Inneren der Familie Thunberg vor, der mit vielen passgenauen Gleichnissen aufwartet

Greta ­Thunberg und ihre Mutter Foto: Malin Hoelstad/SvD/TT/imago

Von Anja Maier

Es ist schon viel Hämisches geschrieben worden über Greta Thunberg. Der FAS-Autor Rainer Hank war sich kürzlich nicht zu schade, das öffentliche Wirken der 16 Jahre alten Klimaaktivistin mit dem mittelalterlichen „Kinderkreuzzug“ zu vergleichen. Greta Thunberg und ihre ÄnhängerInnen verhielten sich „ähnlich fanatisch wie jene Kinder, die sich im Jahr 1212 zu Tausenden aus Deutschland und Frankreich aufgemacht hatten zur Befreiung Jerusalems von den Muslimen“, schrieb Hank. Aus seinen Sätzen tröpfelte die Furcht des moralischen Besitzstandswahrers vor globalen Prozessen, zu deren Abwehr plötzlich nicht mehr der gute alte Zynismus des Bildungseuropäers taugt.

Wer immer sich aktuell an dieser 16 Jahre jungen Schwedin negativ abarbeitet, gefällt sich in deren Überhöhung zur ironiefreien Hypermoralistin, die wegen ihres Autismus nicht in der Lage sei, das Menschliche, Verworfene von uns karnivoren Vielfliegern zu berücksichtigen. Nein, tatsächlich ist die Schwedin Greta Tintin Eleonora Ernman Thunberg weder lässig, noch macht sie aktuell von sich reden, weil sie über ausgefeilte Kommunikationstechniken verfügen würde. Sondern weil sie für „das Klima“ spricht. Für diese Erde, die an ihr Ende gerät und für die Greta Thunberg sich verantwortlich fühlt.

Ja, klar, es wäre angenehmer, wenn sie dies auf eine zugängliche Weise tun würde. Das tut sie aber nicht. Statt ihrer hat ihre Mutter Malena Ernman in „Szenen aus dem Herzen“ die Geschichte der Familie aufgeschrieben und präsentiert die Krisen der Thunberg/Ernmans als Gleichnis für nicht weniger als die Krise der ganzen Welt. Fraglos in allerbester Absicht; sämtliche Einnahmen aus dem Buch kommen Natur- und Umweltschutzorganisationen sowie sozia­len Einrichtungen zugute. Man wünscht dem Projekt also maximale Erfolge. Gleichwohl muss festgestellt werden, dass „Szenen aus dem Herzen“ streckenweise unfassbar schlecht geschrieben ist. Dass dieses Buch wie ein 250 Seiten starkes Überwältigungsmanöver wirkt, das selbst bei der gutwilligsten Rezensentin unerwünschte Abwehrreflexe hervorruft.

Die Opernsängerin Malena Ernman, world famous in Sweden, geht für ihre „Szenen“ streng ichempirisch vor. Siehe, lautet ihr Motto, was uns geschieht, wird der ganzen Erde angetan. Ihre beiden Töchter Greta und Beata leiden an neuropsychiatrischen Störungen. Greta hat das Asperger-Syndrom und leidet unter Zwangsstörungen; ihre zwei Jahre jüngere Schwester Beata hat das Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom.

Beide sind besondere Menschen, ausgestattet mit hoher Sensibilität. Im Fall Gretas führt das dazu, dass sie immer sagt, was ist. Die Erkenntnisse, gerade die negativen, kommen direkt aus ihr heraus. Beide Mädchen verweigern sich dem sozial Opportunen, sie sind nicht „nett“. Aus diesem Besonderssein folgert Mutter Ernman nahezu seherische Fähigkeiten ihrer Kinder. Kindern, wohlgemerkt, die laut ihrer Schilderung umstellt sind von mobbenden MitschülerInnen und unsensiblen HolzklotzpädagogInnen, eingebettet in eine fühllose Turbogesellschaft. Einzig adäquat wahrgenommen und supported von ihren verständnisvollen Eltern.

Wenn Malena Ernman also über die Erkrankung ihrer mittlerweile weltberühmten Tochter schreibt, kann das schon mal unfreiwillig komisch sein. Man würde sich wünschen, die Mutter wüsste nicht auf absolut alles eine Antwort, die sich unmittelbar aus dem Fühlen und Erleben der eigenen Familie herleitet. Komplexe Fragen verdienen komplexe Antworten, keine ständig passgenauen Gleichnisse.

Greta Thunberg et al.: „Szenen aus dem Herzen“. Übers. v. U. Ackermann et al. S.Fischer, Frankfurt a. M. 2019, 256 S., 18Euro

„Greta hat eine Diagnose gestellt bekommen, aber das schließt nicht aus, dass sie recht hat und wir anderen falschliegen, wie man nur falschliegen kann“, schreibt Ernman. Nur böswillige Menschen würden ihr da wohl widersprechen. Doch dann geht es weiter in die Kategorie Auserwähltheit: „Greta gehört zu den wenigen, die unsere Kohlendioxide mit bloßem Auge erkennen können. Sie sieht, wie die Treibhausabgase aus unseren Schornsteinen strömen, mit dem Wind in den Himmel steigen und die Atmosphäre in eine gigantische unsichtbare Müllhalde verwandeln. Sie ist das Kind, wir sind der Kaiser. Und wir sind alle nackt.“

An ebendiese Milliarden Nackten schreibt Greta Thunberg in „Szenen aus dem Herzen“ einen Brief – „an all jene, die die Chance haben, gehört zu werden“. Auf anderthalb Seiten umreißt sie ihre Gedanken. Sie hält sich nicht mit Nettigkeiten auf, sondern rechnet kurz vor, wie lange sie und ihre Schwester Beate statistisch leben könnten. „Vielleicht“, schreibt Greta Thunberg, „werden sich unsere Kinder und Enkel wundern, warum ihr, die ihr die Möglichkeit hattet, gehört zu werden, rein gar nichts gesagt habt? Aber so muss es nicht kommen. Denn es ist ja möglich, dass wir alle damit beginnen, uns so zu verhalten, als würden wir uns in der Krise befinden, in der wir tatsächlich auch stecken.“

Greta Thunberg hat schon mal damit angefangen. Im Januar, bei ihrem Besuch des Weltwirtschaftsforums in Davos, übernachtete sie in einem Zelt. Unter ihrer Pudelmütze lugten die geflochtenen Zöpfe hervor. So viel war klar: Das ist eine großartige junge Frau, die in ihrem Leben viel bewirken kann. Hoffentlich jedoch wird sie so bald wie möglich für sich selbst sprechen und schrei­ben können.

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