: Rebellen zu Ikonen
Von New York über Stuttgart bis Leipzig: Das Kunstjahr 2019 bietet einige Ausstellungen, die vom Leben und Wirken alter Meister zeugen, darunter Robert Mapplethorpe und Vincent van Gogh
Von Jana J. Bach
New York ist nicht Amerika, ein Satz von Gültigkeit. Aber aufgeraut ist die Stimmung auch hier. Vielleicht hat das Guggenheim Museum deshalb die gesamte Werkschau, die sie Robert Mapplethorpe 30 Jahre nach seinem Tod ein ganzes Jahres lang widmet, in einer Seitengalerie untergebracht. Immerhin ist auch Explizites ausgestellt, wie die sorgsam ausgeleuchteten Penis-Darstellungen.
Mapplethorpe, der eigentlich gar kein Fotograf werden wollte, machte Sadomaso salonfähig, erhob Pornografie in den Stand der Kunst und fand durch Experimentieren mit der Polaroidkamera zu einer neuen Ästhetik. In den 70ern eroberten Patti Smith und ihr erster Boyfriend Downtown New York. Das war, bevor Mapplethorpe, den ein früher Aids-Tod 1989 dahinraffte, seine Liebe zu Männern entdeckte.
Die Ausstellung reicht von ganz frühen Werken bis zu den Portfolios der späten 1980er Jahre. Sie zeigt Aufnahmen von Andy Warhol und Cindy Sherman oder wie sich Mapplethorpe selbst inszenierte – mit Lippenstift, Federboa oder in Lederjacke. Freunde, die er ablichtete, ermutigte er geradezu in ihrer Selbststilisierung. Denn Mapplethorpe war ein Perfektionist, der Orchideen und Mohnblumen ebenso empfindsam und makellos ins Licht rückte, wie die afroamerikanischen Aktmodelle. Damals drohte ihm Zensur, später folgte der Kitsch-Vorwurf. Doch gerade wegen der Divergenzen, die Mapplethorpe in seinem Werk vereint, wird er bis heute als Künstlerikone verehrt.
Ikonen ganz anderer Art feiert die Staatsgalerie Stuttgart noch bis Mitte August, nämlich Georg Baselitz und Sigmar Polke, Gerhard Richter und Anselm Kiefer. In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts verhalfen sie der deutschen Malerei zu Weltruhm. Zur Eröffnung von „Die jungen Jahre der Alten Meister“ kam auch Frank-Walter Steinmeier. Als „richtungsweisend und progressiv“ beschrieb er die Künstler und ihre Frühwerke.
„Obwohl sie sich alle selbst unpolitisch nennen, prägt ihre Kunst vor allem im Ausland bis heute das positive Bild eines neuen, kritischen Deutschlands“, so die Direktorin der Staatsgalerie, Christiane Lange. Wahrscheinlich hätten sich die Rebellen von damals ferngehalten von solch einer Veranstaltung, verweigerten sie sich doch in ihrer Kunst jeglicher Indienstnahme gesellschaftlich-politischen Zwecks.
Ein Umstand, der sich auch biografisch begründet, Baselitz, Polke und Richter waren der DDR entflohen. So gab keiner von ihnen den widerständigen Künstler ab, der sich irgendwie hätte eignen mögen für ein pathetisches Leitbild. Statt als Weltverbesserer zu missionieren, provozierten sie. Ohne sich dabei zu ernst zu nehmen, oft ist das pointiert komisch. Im Rückblick allemal: In der Staatsgalerie ist auch Kiefers ehemals umstrittene „Heroische Sinnbilder“-Serie zu sehen.
In Polkes „Liebespaar“, Lack und Kugelschreiber auf Leinwand von 1976, träumen zwei wohl von dem angedeuteten Südsee-Panorama – ganz so, wie viele Deutsche in jenen Jahren. Die Werke der vier sind mannigfach lesbar, aber eben auch als Zeugnisse ihrer Zeit.
Ihre Innovationen von damals sind die Ikonen von heute. 2019 ist das Bauhaus in Deutschland allgegenwärtig. Zum 100-jährigen Gründungsjubiläum, hoch subventioniert und bundespräsidial abgeschirmt, gab es Geld vom Bund für drei neuen Museen – Weimar machte den Auftakt, Anfang September wird Dessau seinen Neubau übergeben, eine Einweihung in Berlin ist für 2023 geplant. Ganzjährig und republikweit lässt sich bei Hunderten von Festivals, Sonderschauen oder Symposien das Erbe der Bauhäusler und sein Umgang mit ihm ergründen. Eine Auseinandersetzung, die lohnt. Von Schrift über Möbel bis zur Architektur, trotz seines kurzen Bestehens von nur vierzehn Jahren gibt es kaum einen Lebensbereich, auf den das Bauhaus keinen Einfluss nahm.
Als „Friday for Future“-Ikone stimmt Greta Thunberg global auf den Klimaschutz ein. Das findet auch woanders Anklang. Für die wohltemperierter Gesellschaftskritik bekam der litauische Pavillon gerade den Hauptpreis für den besten nationalen Beitrag bei der bis Ende November laufenden Kunst-Biennale in Venedig verliehen. Schon während der ersten Tage avancierten die hier singenden Badegäste der Oper-Performance „Sun & Sea (Marina)“ zum Publikumsliebling. Sich Gehör zu verschaffen ist das eine, aktuelle Konsumklimabefragungen belegen: ungebrochen ist die Reiselust der Bürger aus Industrieländern. Da hallt „May You Live In Interesting Times“ nach, das Motto der diesjährigen 58. Biennale, im Angelsächsischen wird mit diesem Satz ironisch gekontert.
Berlin Haus der Kulturen der Welt: bauhaus imaginista, bis 10. 6., www.hkw.de. Berlinische Galerie: Original Bauhaus, ab 6. 9., www.berlinischegalerie.de. Hamburger Bahnhof: Jack Whitten, Jack’s Jacks, bis 1. 9. www.smb.museum
Frankfurt/Main Städel Museum: Making van Gogh, ab 23. 10. , www.staedelmuseum.de. Schirn Kunsthalle: Lee Krasner, ab 11. 10., www.schirn.de
Istanbul 16. Istanbul Biennale, Kunstsammlung, vom 4. 9. bis 19. 11., bienal.iksv.org/en
Leipzig: Museum der bildenden Künste Leipzig: Yoko Ono – Peace is Power, bis 7. 7., mdbk.de
Mönchengladbach Museum Abteiberg: Laurie Parsons, A Body of Work, bis 8. 9. 2019, museum-abteiberg.deNew York Salomon R. Guggenheim Museum: Mapplethorpe – Implicit Tensions, bis 5. 1. 2020
www.guggenheim.org
Stuttgart Staatsgalerie: Die jungen Jahre der Alten Meister Baselitz – Richter – Polke – Kiefer, bis 11. 8., www.staatsgalerie.de
Venedig L’Esposizione Internazionale d’Arte, La Biennale di Venezia, bis 24. 11., www.labiennale.org (jb)
Mit einer kartoffelförmigen Steinattrappe auf dem Kopf trat Natascha Süder Happelmann auf. Das Reden übernahm für sie eine Schauspielerin. Natascha Sadr Haghighian, so ihr bürgerlicher Name, bespielt den deutschen Pavillon. Für ihre Sound-Collagen verfremdete sie zum Beispiel Trillerpfeiftöne. Zwar erregte die Professorin für Bildhauerei Aufsehen, doch als größte Provokation wurde das am Rand eines Hafenbeckens abgestellte „Unglücks-Boot“ wahrgenommen. Als es 2015 vor Lampedusa havarierte, starben fast 700 Menschen. Der Schweizer Christoph Büchel hat das Wrack unter dem Namen „Barca Nostra“ zum Kunstwerk erklärt.
Im September steht dann in Istanbul die nächste Kunst-Biennale an. Kuratiert wird ihre 16. Ausgabe vom französischen Kunstwissenschaftler Nicolas Bourriaud. Neben den Biennalen sind es die Einzelschauen, die 2019 den Ton angeben. Auch ermutigt dieses Kunstjahr zur Deutschlandreise. Zum Beispiel nach Frankfurt am Main, wo ab Oktober in der Kunsthalle Schirn Lee Krasner gewürdigt wird. Die kennen manche als „Witwe Pollocks“, aber ihr künstlerisches Œuvre kennt kaum einer.
Lange verkannt wurde auch das Werk Jack Whittens, die Bürgerrechtsbewegung prägte den 1939 in Alabama geborenen Meister der abstrakten Malerei. Die umfassende, bis Ende August laufende Schau im Hamburger Bahnhof in Berlin, hinter der wieder einmal Udo Kittelmann steckt, ist eine Offenbarung.
Wer ihren Namen hört, denkt John Lennon mit – im Leipziger Bildermuseum lässt sich (bis 7. Juli) derzeit eine europaweit einmalige Yoko-Ono-Retrospektive begehen, das Museum Abteiberg in Mönchengladbach hebt Laurie Parsons aus der Versenkung (bis 8. September) und ab Oktober wird in Frankfurt schließlich die Ausstellung Vincent van Gogh, die „bis dato aufwendigste Präsentation in der Geschichte des Städel“, zu besichtigen sein.
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