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Rock die Grachten

Amsterdam bleibt ein kultureller Melting Pot: Die vom türkischen Psychedelic getriebene Band Altın Gün ist das beste Beispiel dafür

Nimm dies, Geert Wilders! Die niederländisch-indonesisch-türkische Band Altın Gün Foto: Abb.:Rona Lane

Von Lars Fleischmann

Amsterdam ist klein; von der Fläche kaum viel größer als Saarbrücken oder Cottbus. Doch wenn man durch die Gassen und über die Brücken der Grachtenstadt schlendert, spürt man trotz der nur etwa 850.000 Einwohner:innen einen gewissen Weltstadtvibe. Die Stadt-Land-Diskrepanz bezüglich rechter politischer Gruppen und Ideen ist offensichtlich: Während die Stadt von der Grünen, der Sozialistischen und der Sozialdemokratischen Partei regiert wird, bekommen die rechtspopulistischen Kräfte um Geert Wilders in Amsterdam keinen Fuß auf den Boden.

Gerade die türkische Community wird in ländlicheren Gegenden skeptisch beäugt, um es vorsichtig auszudrücken. Auch das ist in Amsterdam anders, wo ohnehin inzwischen weniger als 50 Prozent der Bevölkerung sogenannter niederländischer Abstammung ist. Für Rechte ein Albtraum, für Freunde des gepflegten Melting Pot spannend. Musikalisch schlägt sich diese Entwicklung erst nach und nach nieder; die Charts werden – wie hierzulande auch – von Trap und Rap bestimmt. Dass es auch anders geht, zeigt die niederländisch-indonesisch-türkische Band Altın Gün – ein Leuchtturmprojekt der multikulturellen Niederlande.

Die niederländischen Vorbilder sind rar, die amerikanischen schon prominenter, die türkischen hingegen offensichtlich angesichts des Psychedelic-Rock-Entwurfs, für den Altın Gün steht. Der „goldene Tag“ (aus dem Türkischen übersetzt) ist ein unwahrscheinliches, aber strahlendes Projekt.

Auch wenn die Band musikalisch als Kollektiv daherkommt, ist sie klar als Idee des ‚Bandleaders‘ Jasper Verhulst auszumachen. Verhulst kommt aus der niederländischen Psych-Szene, war Mitglied der Band Moss und Live-Bassist von Jacco Gardner, als dieser 2013 prominent auf der Bildfläche erschien. Im Zuge einer Reise nach Istanbul verliebte er sich in die türkisch-anatolische Musiktradition der Sechziger und Siebziger – er lernte Musiker:innen wie Selda Bağcan, Erkin Koray oder die Band Derdiyoklar schätzen, vor allem aber das Werk des Komponisten Neşet Ertaş.

„Die Songs entstammen einer langen Tradition. Es ist Musik, die vielen Menschen eine Stimme verleihen will“, so Verhulst. Die Kompositionen von Ertaş wurden von etlichen Künstler:innen über die Jahre interpretiert und gesungen, sind türkisches Kulturgut und auch heute noch vielen Menschen in der Türkei, aber auch in Deutschland und den Niederlanden bekannt. Es geht bei Altın Gün dementsprechend nicht um radikale Neuinterpretationen, sondern um eine eigene, moderne und transnationale Variante der Originale, derer man sich verantwortungsbewusst nähert. Im treibenden Zusammenspiel lassen Altın Gün einen funky Groove entstehen – ohne dass sie sich aber als Funk-Band verstünden. Sie sehen sich noch immer als „Folk“-Band mit Rock- und Psychedelic-Referenzen.

Gewiss wäre die Resonanz auf das Debüt „On“ (2018) nicht ganz so positiv ausgefallen, wenn sich bloß eine Handvoll Niederländer zusammengetan hätte, um türkischen Folk nachzuspielen. Die beiden türkischstämmigen Musiker:innen Erdinç Ecevit und Merve Daşdemir sind Herz und Seele dieser Band. Während Daşdemir mit ihrer Stimme an die großen Sängerinnen der goldenen Ära erinnert, verweist Ecevit mit dem gekonnten Spiel der traditionellen Langhalslaute Saz auf die Herkunft der Sounds.

Verrauchte Saz-Kneipen

Den eingeschlagenen Weg setzt die Band nun auf ihrem Zweitling „Gece“ („Nacht“) konsequent fort. Man setzt sich weiterhin mit dem Komponisten Neşet Ertaş auseinander, nimmt sich etlicher Originale an. Wo ehedem die güldene Sonne über dem Tag schien, widmet man sich nun dem Mond, dem Nachtleben, den verrauchten Saz-Kneipen Istanbuls. Schon der Opener „Yolcu“ („Passagier“) verbreitet eine dunkle, aber zugleich lebensbejahende Stimmung.

Aus den Fuzz-Gitarren-Sounds schält sich alsbald die mysteriöse Stimme Ecevits hervor, die im Duett mit dem Bass-Fundament und den harten Percussions das Kiffer- und Opium-Istanbul der Siebziger rund um den Stadtteil Tophane heraufbeschwört. Man wähnt sich rasch in puffmäßigen, teppichbehangenen Nachtclubs – auch wenn die mitteleuropäische Mythisierung und Legenden ein Teil des Appeals ausmachen. Lieder wie „Leyla“, bei dem Hardrock à la Black Sabbath oder Led Zeppelin und Pinkfloyd’sche Psychedelic zusammenfinden, verstärken diesen Eindruck. Insbesondere live kommt der Sound Altın Güns gut.

Ganz beiläufig versteckt die Band mit „Soför Bey“ nicht bloß einen veritablen Northern-Soul-Hit mit Sprechgesang, sondern gleich ihren ersten selbst geschriebenen Song, der beschwingt durch Phrasierungen und Reime der türkischen Sprache gleitet. Wer meint, dass dies nun vortrefflich zur Welthauptstadt des Cannabis-Konsums passe, der wird Altın Gün nicht gerecht. Vielmehr hört man hier den Soundtrack einer Gesellschaft, die die „Wurzeln“ ihrer Bevölkerung nicht unter den ‚Assimilationszwang‘ stellt, sondern auf höchst produktive Art und Weise miteinander vermengt und synthetisiert.

Altın Gün: „Gece“ (Glitterbeat/Indigo) | live: 22. Mai, E-Werk, Erlangen, 23 Mai, Franz Mehlhose, Erfurt, 24. Mai, Peter-Weiss-Haus, Rostock, 28. Mai Gretchen, Berlin, 29. Mai, UT Connewitz, Leipzig, 30. Mai Tower, Bremen, 1. Juni, Elbjazz Festival, Hamburg, 19. Juni, Kulturladen, Konstanz, 20. Juni, Kulturzentrum Dieselstraße, Esslingen

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