Rad-Reiseführer Eiserner Vorhang: Immer an der Wand lang
Der Europa-Radweg Eiserner Vorhang ist ein länderübergreifendes Projekt. Ein grünes Band von der Barentssee bis zum Schwarzen Meer.
30. Jahrestag des Mauerfalls und des Eisernen Vorhangs in Europa, der jahrzehntelang den Kontinent in Ost und West gespalten hat. Gemäß der Aussage von Wilhelm von Humboldt: „Nur wer die Vergangenheit kennt, hat eine Zukunft“, müssen wir uns mit der Vergangenheit auseinandersetzen. Deshalb pflegen wir die Erinnerung an die friedlichen Revolutionen in Ostmitteleuropa, ohne die jahrzehntelange Spaltung unseres Kontinents zu vergessen.
Die Aktivitäten der Gewerkschaft Solidarność, die erfolgreiche Orientierung der Ungarn nach Westen, der „Singende Revolution“ genannte Kampf der Unabhängigkeitsbewegungen in den baltischen Staaten, die Samtene Revolution in der Tschechoslowakei, die immer stärker werdende Oppositionsbewegung in der DDR und der Abbau des Stacheldrahts an der ungarisch-österreichischen Grenze durch die beiden Außenminister Gyula Horn und Alois Mock am 27. Juni 1989 bereiteten den Fall der Berliner Mauer am 9. November 1989 und den des Eisernen Vorhangs in Europa vor.
Sichtbare Erinnerung gibt es bereits mit dem „Berliner Mauerweg“, der seit 2001 vom Berliner Senat ausgeschildert und fahrradfreundlich ausgebaut und vom rot-rot-grünen Senat 2018 zum Denkmal erklärt wurde. Nicht nur Berlin, auch Deutschland war jahrzehntelang durch den 1.400 Kilometer langen innerdeutschen Grenzstreifen gespalten, weshalb auch der Deutsche Bundestag im Dezember 2004 einstimmig für den „Deutsch-Deutschen Radweg“ votiert hat. Er führt von der Ostsee bis zur tschechischen Grenze an zahlreichen Flüssen und Seen entlang und überwindet die Höhen des Harzes sowie die des Thüringer Waldes. Er passiert viele Denkmäler und Grenzlandmuseen wie auch manche der noch verbliebenen Wachtürme.
Nach dem Vorbild des Berliner Mauerwegs und des Deutsch-Deutschen Radwegs entsteht entlang des ehemaligen Eisernen Vorhangs auf dem früheren Todesstreifen ein Rad- und Wanderweg, auf dem man europäische Geschichte, Politik, Natur und Kultur im wahrsten Sinne des Wortes erfahren kann. Das 10.000 Kilometer lange „Grüne Band“ von der Barentssee zum Schwarzen Meer steht seit 2002 unter der Schirmherrschaft von Michail Gorbatschow, der seit 1993 Präsident von Green Cross International (GCI) ist.
Am „Europa-Radweg Eiserner Vorhang“ (Iron Curtain Trail) sind 20 Länder beteiligt, darunter 15 Mitgliedstaaten der EU. Beginnend an der Barentssee verläuft der Rad- und Wanderweg an der Westgrenze der ehemaligen Warschauer-Pakt-Staaten bis zum Schwarzen Meer. Man radelt an der norwegisch-russischen und finnisch-russischen Grenze entlang bis zur Ostsee und passiert dort die Küstenstreifen von Russland, Estland, Lettland, Litauen, Kaliningrad, Polen und der ehemaligen DDR.
Durch Nationalparks
Von der Halbinsel Priwall bei Travemünde bis zum sächsisch-bayerisch-tschechischen Dreiländereck führt die Route am ehemaligen innerdeutschen Grenzstreifen entlang. Weiter geht es über die Höhen des Böhmerwalds, vorbei an Mähren und der slowakischen Hauptstadt Bratislava, dort wird die Donau überquert.
Entlang der Südgrenze Ungarns führt der Weg über Slowenien und Kroatien. Zwischen Rumänien und Serbien folgt die Strecke weitgehend dem Lauf der Donau, um schließlich über Bulgarien, Mazedonien und Griechenland am nördlichsten Punkt der Türkei an der bulgarischen Schwarzmeerküste zu enden.
Die Strecke verläuft durch mehrere Nationalparks mit einer interessanten Flora und Fauna und verbindet eine Vielzahl einzigartiger Landschaften, die in der Sperrzone lagen und nahezu unberührt geblieben sind. Sie führt aber auch an zahlreichen Mahnmalen, Museen und Freiluft-Einrichtungen vorbei, die an die Geschichte der Spaltung Europas und deren Überwindung durch die friedlichen Revolutionen in Ostmitteleuropa erinnern.
Wie beim Berliner Mauerweg und dem Deutsch-Deutschen Radweg können auch beim Europa-Radweg Eiserner Vorhang die teilweise noch vorhandenen asphaltierten Patrouillenwege der Grenzanlagen genutzt werden. In vielen Ländern und Regionen Europas wird an dem Projekt gearbeitet, zahlreiche Abschnitte sind schon ausgeschildert und fahrradfreundlich ausgebaut.
Die Kriterien
Es gibt verschiedene Möglichkeiten, sich im Grünen Band mit dem Fahrrad zu bewegen. Ob auf der westlichen oder der östlichen Seite, ob näher an der Grenze oder weiter entfernt, ob auf Kolonnenwegen mit Lochplatten oder auf Asphalt. Die vorgeschlagene Route wurde nach den folgenden fünf Kriterien ausgewählt:
– möglichst nahe an der ehemaligen Grenze
– vorzugsweise auf komfortabel zu befahrenden Wegen
– stark befahrene Straßen vermeidend
– die ehemalige Grenze häufig querend
– viele Zeugnisse der Geschichte integrierend
Die Zusammenarbeit mit der europäischen Initiative europeangreenbelt, die gemeinsam mit Naturschützern aus den mittel- und osteuropäischen Ländern das Projekt „Green Belt“ ins Leben gerufen hat, ist eng und produktiv. Das Projekt ist keine Vision mehr, sondern schon heute Realität. Es wurde als „EV 13“ in das EuroVelo-Konzept der Europäischen Kommission aufgenommen.
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