: Von Drehtüren und Schlupflöchern
Zeitarbeit boomt und wird oft als Ausbeutung oder moderne Sklaverei betrachtet. Doch wie gerecht ist das Modell der Zeitarbeit heute? Arbeitgeberverband sieht außer häufigen Ortswechseln keinen Unterschied. Gewerkschaft fordert eben dafür mehr Wertschätzung
Von Hannes Vater
Wer wissen will, wie der Arbeitsmarkt sich entwickelt, muss auf die Zeitarbeitsbranche achten. Weil diese schnell auf Änderungen der konjunkturellen Rahmenbedingungen reagiert, gilt sie als Frühindikator wirtschaftlicher Entwicklung.
Die Anforderungen an Zeitarbeiter sind meist niedrig. Mehr als die Hälfte übt Hilfsarbeiten aus. Zum Vergleich: Bei der Gesamtheit aller Beschäftigten macht das jeder Fünfte.
Und statistisch gesehen sind Zeitarbeitnehmer relativ jung und männlich. Gegenüber allen Beschäftigten sind Berufsabschlüsse seltener. Insbesondere jungen Menschen, Geringqualifizierten und Zugezogenen bietet Zeitarbeit gute Einstiegsmöglichkeiten in den Arbeitsmarkt. 14 Prozent der Zugänge in die Arbeitslosigkeit erfolgen aus der Zeitarbeitsbranche. 18 Prozent der Beschäftigungsaufnahmen aus der Arbeitslosigkeit gehen auf das Konto der Zeitarbeit, das zeigt eine aktuelle Studie der Bundesagentur für Arbeit (BA).
Deutschlandweit stellen Personaldienstleister außerdem die meisten Geflüchteten ein. Zwischen November 2017 und Oktober 2018 beendeten insgesamt 88.800 Menschen aus den Hauptherkunftsländern der Schutzsuchenden in Deutschland ihre Arbeitslosigkeit durch die Aufnahme einer Beschäftigung. Mehr als ein Drittel davon, 31.700 Menschen, fanden dabei einen Job bei einem Personaldienstleister. Für Geflüchtete ist die Zeitarbeit der wichtigste Zugang zum ersten Arbeitsmarkt. Der Anteil der Leiharbeitnehmer an der Gesamtbeschäftigung hingegen liegt bei knapp drei Prozent.
Obwohl gesetzliche Neuerungen aus jüngster Zeit Einschränkungen vorsehen, wachse die Zahl an Leiharbeitern seit Jahren mit hoher Dynamik, stellt die Bundesagentur fest. So weit, so chancenreich. Aber wie gerecht geht es in den Betrieben zu?
Der Bundesarbeitgeberverband der Personaldienstleister (BAP) ist eine Interessengemeinschaft der Zeitarbeitsunternehmen. Er ist der juristische Berater seiner Mitglieder und organisiert den Gedankenaustausch mit Politik und Öffentlichkeit. Doris Droste, Pressechefin des BAP, sieht Zeitarbeiter grundsätzlich in der gleichen Position wie gewöhnliche Arbeitnehmer: „Sie haben mit ihren Zeitarbeitsunternehmen ein normales Arbeitsverhältnis. Dazu gehören in der Regel ein unbefristeter Arbeitsvertrag mit Renten-, Kranken-, Arbeitslosen-, Pflege- und Unfallversicherung, bezahlter Urlaub, Lohnfortzahlung im Krankheitsfall und bei fehlenden Einsatzmöglichkeit sowie gesetzlicher Kündigungsschutz“, sagt sie. Der einzige Unterschied zu anderen Arbeitsverhältnissen liege im Wechsel von Arbeitsort und Betrieben.
Für alle Mitgliedsunternehmen im BAP gelte zudem ein „Verhaltenskodex als Selbstverpflichtung zum vorbildlichen Verhalten gegenüber Mitarbeitern und Bewerbern, Kunden und Wettbewerbern“. Vor allem die Wertschätzung der Mitarbeiter sei dabei ein zentrales Anliegen, sagt Droste.
Die Unternehmen selbst sind eher pressescheu. Auf taz-Anfragen bei vier Firmen, die mit „fairer Zeitarbeit“ werben, zeigte sich keines gesprächsbereit.
Tanja Chawla, Gewerkschaftssekretärin bei Ver.di Hamburg, beschreibt die Zeitarbeitsbranche als „zunehmend komplex“. Galt sie einst als Möglichkeit der Arbeitgeber, Produktionsspitzen flexibel, ohne Festanstellungen abzufedern, entwickle sich die Branche im Zuge des Fachkräftemangels als Vermittler hochqualifizierten Personals. Und dieses Personal ziehe die Vorteile der Bedingungen der Zeitarbeit mit ihren geregelten Arbeitszeiten und Zuschlägen einer prekären oder befristeten Jobsituation vor. Werden dabei zu guten Arbeitsbedingungen Tarifverträge und Gesetze eingehalten, Menschen für gleichwertige Arbeiten gleich bezahlt, Übernahmeangebote nach der „Höchstüberlassungsdauer“ erreicht und Weiterbildungsmöglichkeiten geschaffen, sei schon von fairer Zeitarbeit zu sprechen. Diesem Ideal wirkten allerdings diverse Schlupflöcher und Grauzonen entgegen: Komplexe oder fehlerhafte Abrechnungen, Drehtüreffekte, um die Höchstüberlassung zu umgehen und den Übergang in die Stammbelegschaft zu verhindern, seien in der Branche nicht selten, so Chawla.
Weiterhin kritisiert die Ver.di-Frau, Menschen in Zeitarbeit werde besondere Flexibilität abverlangt, die keine Honorierung finde – es sei denn, die entsprechende Branche sei vom Fachkräftemangel betroffen. Gemäß dem Motto „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ bleibe also noch einiges zu verbessern.
Unfaire Arbeitsmodelle und mangelhafte Arbeitsbedingungen führten zu den gleichen Symptomen wie in anderen Branchen auch: hohe Belastung, Motivationsverlust, Kündigung, Krankheit und Burn-out.
Zusammen mit den DGB-Gewerkschaften konnte Ver.di vor Kurzem Tarifverträge auf den Weg bringen, die Mindestlöhne über dem gesetzlichen Mindestlohn sichern. Lohnsteigerungen sowie Ost-West-Angleichungen wurden erfolgreich verhandelt.
Ver.di empfiehlt der Politik, künftig klar Stellung zugunsten der Zeitarbeitnehmer zu beziehen und mehr zu tun, um Tarif-Schlupflöcher wie die „Drehtüren“ zur Festanstellung zu reparieren. Der Begriff meint, dass die Firmen die Höchstdauer für die Entleihung von 18 Monaten voll ausreizen und danach neue Zeitarbeiter einstellen, um einen Übertritt in die Belegschaft zu verhindern.
Von den ArbeitgeberInnen wünscht sich Tanja Chawla mehr Wertschätzung der Arbeitnehmerleistung – „nicht nur, aber auch im Hinblick auf die nächste Tarifrunde, die in diesem Jahr ansteht“. Die ArbeitnehmerInnen auf der anderen Seite sollten sich mehr für die Verbesserung der eigenen Bedingungen einsetzen, gerne an der Seite der Gewerkschaft. Denn es gelte wie immer: „Nur gemeinsam sind wir stark.“
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