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Wenn Bäume starben, starben sie aufrecht

Irgendwann ist es selbst mit schwarzem Humor vorbei: Jiří Weils großer Roman „Mendelssohn auf dem Dach“ ist in einer Neuausgabe wiederzuentdecken

Jiří Weil: „Mendelssohn auf dem Dach“. Aus dem Tschechischen von Eckhard Thiele. Wagenbach, Berlin 2019, 283 Seiten, 22 Euro

Von Thomas Schaefer

Eine Zeit lang mag man sich auf halbwegs komfortabler Seite wähnen, denn Jiří Weil beginnt „Mendelssohn auf dem Dach“ als Schelmenroman. Reinhard Heydrich, als „Stellvertretender Reichsprotektor“ im von den Deutschen besetzten Prag residierend, hat bemerkt, dass sich auf dem Giebel des Konzerthauses Rudolfinum unter diversen Komponistenstatuen auch die Mendelssohn Bartholdys befindet, und ordnet deren Beseitigung an. Die Befehlsausführenden sind allerdings so ungebildet, dass sie den Komponisten nicht identifizieren können, vermuten aber der Rassenlogik folgend, dass er als Jude die größte Nase haben muss, und wollen schon die Statue Richard Wagners entfernen …

Mit dieser Posse lockt Weil die Leserschaft in einen Roman, dessen Komik bald nur noch von schwärzester Art ist, vergleichbar Jurek Beckers Sarkasmus in „Jakob der Lügner“. Allerdings ist Weils Roman früher erschienen, 1960. Nicht nur weil er manches vorwegnimmt, was uns heute an Motiven vertraut ist, kann man ihn als kühn bezeichnen. So gehört schon ein gewisser Mut dazu, das Denken von Nazis aus personaler Perspektive zu erzählen, etwa aus der Heydrichs. Der erinnert sich wehmütig des Polenfeldzugs, bei dem er als Kampfflieger „ansehen konnte, wie die Häuser brannten, das kopflose Menschengewürm hin und her lief“: „Damals hatte er dem Feind von Angesicht gegenübergestanden, jetzt erteilte er nur die Befehle, ihn auszurotten.“

Im Zentrum des Romans stehen jedoch nicht die Täter, sondern deren Opfer, etwa Richard Reisinger, der zeitweilig in einem Depot arbeitet, in dem die Gestapo Raubgut hortet. Zu den Höhepunkten des Romans zählt die Szene, in der er von Gestapo-Männern auf ein Bier eingeladen wird. Die finden den Juden nämlich durchaus nett, doch ist klar, dass seine Zeit gestundet ist: „Dass sie vor ihm so ungeniert sprachen, war das schlimmste, es bedeutete, sein Schicksal war besiegelt, ihm blieb nur so viel Lebenszeit, wie sie ihm gönnten.“

Geschickt wählt Weil einen Moment trügerischer Ruhe: Im Jahr 1942 ist Prag besetzt, die jüdische Bevölkerung wird drangsaliert, doch noch findet das große Grauen anderswo statt. Aber die Vorbereitungen für die Vernichtung laufen: Just wird in Theresienstadt ein Ghetto eingerichtet, das gegen Ende zum Romanschauplatz wird. Spätestens dann ist es vorbei mit schwarzem Humor, dann herrschen nur noch Entsetzen und Ausweglosigkeit. Alle Figuren des Reigens, anhand dessen Weil das besetzte Prag geschickt aus verschiedenen Facetten in Szene setzt, sind tot, die heroischen Akte des Widerstands gescheitert und es bleibt nur Pathos. Bäume dienen als Trost-und-Trotz-Metaphern: sie „wuchsen, siegreich und unsterblich. Sie gaben und sie dienten, und wenn sie sterben mussten, starben sie stehend.“

Im Grunde hätte Jiří Weil nur seine Autobiografie aufschreiben müssen, um sein Publikum zu ergreifen: Nachdem der überzeugte Kommunist von 1933 bis 1935 in der Sowjetunion gelebt hatte, die er als Opfer stalinistischer Verfolgung verlassen musste, kehrte er nach Prag zurück. Die Nazizeit überlebte er im Untergrund, nachdem er zuvor einen Suizid vorgetäuscht hatte. Seine kritische Haltung führte nach 1945 zu einem Publikationsverbot, das erst drei Jahre vor seinem Tod aufgehoben wurde. Am 13. Dezember 1959 starb der 1900 geborene Weil, ein Jahr später erschien „Mendelssohn auf dem Dach“. Dass der Roman erst 1992 auf Deutsch herauskam, ist ebenso unbegreiflich wie der Umstand, dass er sich nicht im Kanon der großen Romane des 20. Jahrhunderts durchsetzen konnte. Noch nicht.

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