Evangelikale Strukturen in Bremen: Führe uns nicht in Versuchung
In Bremen will das karitative Werk einer evangelikalen Gemeinde aus Oldenburg ein Sozialzentrum mit eigener Kita errichten. Kann das gut gehen?
An ihrer Spitze stehen die hippen und medial sehr aktiven Evangelikalen, insbesondere die Pfingstkirche. Sie sind jung und dynamisch, aber sie vertreten reaktionäre bis radikale Positionen. In Deutschland werden rund zwei Prozent der Bevölkerung den Evangelikalen zugerechnet. Dennoch ist die Bewegung die am schnellsten wachsende Religion weltweit. In Nord- und Südamerika und in Teilen Afrikas sowie Asiens stellen Evangelikale bereits die christliche Bevölkerungsmehrheit. In Europa und den USA stagniert das Wachstum.
Rassistischen, sexistischen und queer-feindlichen Politikern wie dem US-Präsident Donald Trump oder dem neu gewählten brasilianischen Präsidenten Jair Bolsonaro geben viele Evangelikale gern ihre Stimme. Doch die vornehmlich amerikanischen „Megachurches“ belassen es nicht beim Erfolg auf ihrem heimischen Terrain, sondern begreifen die Missionierung als göttlichen Auftrag.
In Deutschland ist diese christliche Strömung vor allem in Baden-Württemberg und im Ruhrgebiet verbreitet. Im Norden ist Bremen eine evangelikale Hochburg. Hier gibt es rund 34 Gemeinden, die man dem Evangelikalismus oder der Pfingstbewegung zurechnen kann. Nun versucht eine Pfingstgemeinde aus Oldenburg, in Bremen-Nord Fuß zu fassen.
Von den Freikirchlern in Versuchung geführt
Mit ihrem karitativen Arm, dem „Sozialwerk Oldenburg“, will die Freie Christengemeinde Oldenburg in Bremen-Blumenthal ein soziales Zentrum errichten, das nach eigenen Angaben in seiner Größe und seinen Dimensionen deutschlandweit einmalig sein wird. Darin soll es etwa eine Kindertagesstätte, einen Indoor-Spielplatz, eine Wohngruppe und einen psychosozialen Beratungsdienst geben.
Der Ortsbeirat Bremen-Blumenthal begrüßte den Vorschlag für ein solches Zentrum mit einer einstimmigen Abstimmung zugunsten des Projekts. Nun müssen die zuständigen Senatorinnen entscheiden, ob das Projekt auch mit öffentlichen Geldern gefördert werden soll. Allerdings regt sich Widerstand in Teilen der bremischen Öffentlichkeit und in der politischen Landschaft. Es geht um die Frage, ob der Oldenburger Pfingstgemeinde zu trauen ist. Kann es karitative Arbeit geben, die von der konservativen, religiösen Ideologie der Gemeinde unabhängig ist?
Die Stadt Bremen und vor allem der mit vielen sozialen und infrastrukturellen Problemen kämpfende Stadtteil Bremen-Nord werden von der Lockung des ambitionierten Projekts der Freichrist*innen buchstäblich in Versuchung geführt, ihren eigenen staatlichen Bildungsauftrag zu vernachlässigen. Denn manche verzweifelten Lokalpolitiker*innen, die in Ortsbeiräten wie in Blumenthal sitzen, sind dankbar über jedes Projekt, das die sehr realen Probleme an der Unterweser angehen will.
Trotzdem sollte Bremen genauer hinsehen, wenn sich religiöse Fundamentalisten im alltäglichen Geschäft der Sozialversorgung einklinken. Zu anti-emanzipatorisch und minderheitenfeindlich ist ihre Lehre, zu theokratisch das Selbstverständnis und zu abschreckend die Beispiele aus Teilen der Welt, in denen Evangelikale bereits Teil der Mehrheitsgesellschaft sind, als dass man ein solches Projekt ohne Hinterfragen durchwinken könnte.
Mehr über Evangelikale lesen Sie im aktuellen Wochenendschwerpunkt der taz nord oder am E-Kiosk.
Links lesen, Rechts bekämpfen
Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Wirtschaft aber für junge Menschen
Das Problem mit den Boomer-Ökonomen
Waffenlieferungen an Israel
Es geht nicht ohne und nicht mit
Wahlverhalten junger Menschen
Früher wählte die Jugend links
Ex-Chefinnen der Grünen Jugend
„Wir dachten, wir könnten zu gesellschaftlichem Druck beitragen“
Krieg im Nahen Osten
Das Personal wächst nach
Wagenknechts Koalitionsspiele
Tritt Brandenburg jetzt aus der Nato aus?