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Das Konzept macht die Musik

Die Jazzahead widmet sich in diesem Jahr dem Modeland Norwegen. Ein Programm für Entdecker ist dabei allerdings nicht herausgekommen

Mari Boine serviert gutturale Joik-Soli Foto: Jens Fischer

Von Jens Fischer

Unwegsames Gelände, zerklüftet, schneesicher, mal von eisiger Dunkelheit umfangen, mal in Mitternachtssonne getunkt: Viel Platz, kaum Leute und daher mit Trollgeschichten belebt – das ist Norwegen. Es hat weniger Einwohner als der Großraum Berlin, aber eine weltweit hippere Jazzszene als die Bundeshauptstadt. Wie kann das sein?

Zur Beweisführung erkoren die Jazzahead-Macher dieses Jahr Norwegen zum Partnerland. Das derzeit eh groß gefeiert wird. Es war Fokusland der Berlinale und wird Ehrengast der Buchmesse in Frankfurt sein. Die Bremer spendierten den Skandinaviern erst einmal eine Werbeveranstaltung und nutzen diese als PR-Event „Festivaleröffnung“ für den vom 25. bis 27. April gebündelten Veranstaltungsreigen.

Die aktuelle Norwegenbegeisterung zeigt sich sofort im bis auf den letzten Platz ausverkauften Theater am Goetheplatz. Ein echter Weggucker ist dort das riesig projizierte Programmheft- und Plakatmotiv: eins dieser blondierten 08/15-Zeitschriften-Covergirls. Hingucker dann ein Imagefilm fürs Wanderland Norwegen. Dagegen kämpft „buten un binnen“-Plauderer Felix Krömer vergeblich um Aufmerksamkeit für seine Moderation, indem er bekennt, „von Jazz auch keinen Plan zu haben“.

Damit wenigstens jemand Norwegisch auf der Bühne spricht, steht die Berliner Schauspielerin Lise Risom Olsen an seiner Seite und wird gefragt, ob sie die Dimension des Jazzbooms in ihrem Geburtsland kenne? Prompt purzeln Zahlen: „Es gibt 25 Jazzfestivals und 75 Jazzklubs, 110 Big Bands, 1.700 Blasorchester sind in Schulen aktiv.“ Und 550 Jazzer seien im Jazz-Forum organisiert, sodass sie auf Probenräume, Mittel für Instrumente, Reisen und Tonträger-Produktionen zugreifen können: Im Gegensatz zu Deutschland gilt Jazz in Norwegen als nationale und förderwürdige Kultur. Geld ist da. Seit den 1980ern gehört Norwegen dank Ölförderung zu den reichsten Ländern der Welt.

Dass dort nicht globalisierter Mainstream-Jazz fröhliche Urständ feiert, ist auch eine Folge der Abgeschiedenheit. Während US-Jazzer nach dem 2. Weltkrieg in Dänemark, Schweden, Deutschland, Frankreich spielten und oft auch lebten, blieben diese Einflüsse in Norwegen aus. Zudem hat sich dort Folk-Musik lebendig gehalten. Auf die bezogen sich nordische Jazzer anfangs ebenso wie auf Klassik und Neue Musik. Das Münchner Edeljazz-Label ECM nahm sich der Szene an und hypte ihre herb zwischen traditionellen und neuen Formen oszillierenden Winterlandschaftszauberklänge zum Markenzeichen, verfolgte aber auch die Weiterentwicklung mit turbulenten Grooves, Störgeräuschen, krachenden House- und Breakbeats, Rockgitarrenexzessen, Kirchengesängen und elektronischem Minimalismus.

Heute seien nicht mehr sakrale Tonskulpturen von Jan Garbarek & Co., sondern die Freude am Experiment für norwegischen Jazz kennzeichnend, so Lise Risom Olsen. Es geht darum, die Spannung erzeugende Kontrastierung diverser Stile und Genres zu einem homogenen Idiom improvisatorisch zu verschmelzen und kompositorisch zu gestalten.

Das Konzept definiere die Norwegen-Ästhetik, betont Håkon Kornstad. Er fusioniert Opern-Gesang und Saxofonspiel. Intoniert in Bremen arios neapolitanisches Liedgut, aber auch Richard Wagner, und mäandert anschließend betulich mit dem Instrument durch Melodielinien. Wobei seine Saxofonstimme voller, wärmer, samtener, eleganter als sein Tenor ist. Dienerische Geister an Tasteninstrumenten und Kontrabass federn das lauschige Wechselspiel ab. Ein kauziges Konzert, dem indes ein animierender Partner fehlt, die vokalen und geblasenen Ausflüge zu verbinden und weiterzudenken.

Kronstadt ist Bremern schon aus Sendesaalkonzerten bekannt. Auch die zweite Künstlerin des Eröffnungsabends, Mari Boine, hat schon reichlich Tour-Stopps an der Weser absolviert. Jetzt präsentiert sie mit einem Gitarristen und Perkussionisten Material ihres neuen Albums, das die elegisch an- und abschwellenden Gesänge der kolonialisierten Samen mit klassischen Popsong-Strukturen verbindet: Gutturale Joik-Soli serviert sie, mit denen Schamanen einst Geister anriefen. Das ist von reizvoller Intensität, selbst bei Coverversionen. Als Nachschlag betritt Jazzahead-Programmmacher und Trompeter Uli Beckerhoff noch mal die Bühne mit Arild Andersen – und wird in der Kulturkirche an die Wand gespielt. Derart überragend ist die Wucht des mit Loops und Overdubs aufgemischten Kontrabass-Spiels, derart überwältigend Andersens voluminöser, filigran schwingender Ton und seine melodische Erzählfreude. Letztlich aber auch nur ein Konzert altbekannter Qualitäten.

Weniger abgehangene Jazzkunst bieten die Konzerte der Jazznight am 25. April in Messehalle 7 und Schlachthof. Am 26. April, 20 Uhr, treten in der Glocke das Mathias Eick Quintet und Trail of Souls auf. Wie mit Körpern improvisiert wird, soll das Tanz-Gastspiel „­Notes on Frailty + A list of things he said“ von Ingun Bjørnsgaard zeigen: Samstag, 19 Uhr, Theater Bremen. Kunstwerke der Erling Kogge Collection sind in der Weserburg zu sehen, in der Stadtbibliothek Arbeiten norwegischer Illustratoren und in der Buchhandlung Geist liest Ketil Bjørnstad am 23. April ab 19.30 Uhr aus seinen Romanen.

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