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Kinoempfehlung für BerlinEin Höchstmaß an Leben

Das Kino Arsenal widmet dem hierzulande kaum bekannten schwedischen Regisseur Bo Widerberg eine umfassende Retrospektive.

Dem tragischen Ende entgegen leben: „Elvira Madigan“ Foto: SF Studios

Hierzulande nahezu unbekannt, hat es in Schweden immer eine Alternative zu Ingmar Bergman gegeben: Bo Widerberg. Gut zehn Jahre nach Bergman geboren und abermals zehn Jahre früher gestorben, sind es vielleicht diese zwei Dekaden, die Widerberg gefehlt haben, um aufzuschließen.

Was blieb, hat dennoch für dreizehn, sehr verschiedene Langfilme gereicht, die das Arsenal als „Leben um jeden Preis“ im April in großen Teilen zur Aufführung bringt. An ihnen lässt sich auch leicht ausmachen, wie sehr sich Bo Widerbergs Verständnis von Mensch und Film zu jenem Ingmar Bergmans unterschieden hat – und warum gerade junge Schweden sich zu Ersterem oftmals sogar stärker hingezogen fühlten.

Ein Mangel an Schmerz und Existenziellem kann nicht die Ursache gewesen sein – all dies ist auch in Widerbergs Kino zu finden. Doch es verzichtet auf große Theorie, auf Metaphysik. Auch die Farben sind andere. Drängen sich beim Gedanken an Bergman Nuancen von Grau auf, tiefes Schwarz oder überintensive Farbreize, ist es bei Widerberg eine meist lieblichere, auf jeden Fall fleischlichere Palette, sind es die in Pastellfarben hingehauchten Kleider der jungen Mädchen und Frauen, die gelegentlich glühenden Gesichter der Kinder und Heranwachsenden.

Es sind Figuren wie Victoria im gleichnamigen Film „Victoria“ von 1979 oder Elvira Madigan in „Elvira Madigan“ (1967), die diesen Eindruck begründen. Zarte Frauen, die für Anmut und Tragik stehen, teils künstlich und überladen aufbereitet, dabei interessanterweise äußerst konzentriert, denn lediglich auf ihre amourösen Regungen reduziert.

Die Filmreihe

Leben um jeden Preis – Retrospektive Bo Widerberg: 12.–28. 4., Kino Arsenal

Es sind Liebesgeschichten wie die zwischen dem Müllerssohn Johannes und der wohlhabenden Victoria oder die von Elvira Madigan und Sixten Sparre, einer Hochseiltänzerin und einem desertierten Soldaten. Da eine Erzählung basierend auf einem Stoff Knut Hamsums von 1889, hier eine Ballade Johan Lindström Saxons. Alle beide: bestückt mit entzückender Kleidung.

Wer eine Vorliebe für die Damenmode des ausgehenden neunzehnten Jahrhunderts pflegt, wird etwa an der Garderobe Victorias seine Freude haben – übrigens genauso wie Victoria selbst, die sich in einigen Szenen mit Sonnenschirm und Hut vor dem Spiegel dreht wie das Püppchen einer Spieluhr.

Augenblicke des Glücks, von dem der Schönen nicht viele beschert sind. Ähnlich Johannes, den das Leid der unerfüllten Liebe in den wohl typischsten Beruf getrieben hat: den des Dichters.

„Victoria“ ist auch ein Film, der von schlechtem Timing erzählt und wie ungünstig es sich auf die Liebe auswirken kann. Nie ist der andere für sein Gegenstück zu haben, wenn dieses gerade frei ist – und umgekehrt. Timing im weitesten Sinne beschäftigte Bo Widerberg auch in seinem finalen Film „Schön ist die Jugendzeit“ („Lust och fägring stor“), entstanden 1995, kurz vor dessen überraschendem Tod zwei Jahre später.

In einer großartigen Szene, die sich, ohne zu viel zu verraten, zwischen einem betrogenen Ehemann und seinem jugendlichen Kontrahenten entspinnt, ergeht sich der Ältere spontan und betrunken in einer kleinen Philosophie ungünstiger Anwesenheiten zur selben Zeit.

Der Kontrahent heißt Stig (gespielt von Bo Widerbergs Sohn Johan), ein in sich blickender und gleichsam fester Geist, den es wohl wissentlich und mit ganzer Leidenschaft in die Arme seiner Lehrerin getrieben hat. Diese empfängt ihn zunächst vorsichtig, dann immer fordernder.

Abermals handelt es sich um keine Arbeit, die sich am Heute probiert, sondern ihre Geschichte in der Geschichte sucht und findet: in den letzten Jahren des Zweiten Weltkriegs. Möglicherweise liegt es am Unmittelbaren, für das sich Bo Widerberg entzündet und das sich, eben durch jenen zeitlichen Abstand, genau dort in besonderer Weise extrahiert.

In einem Interview zu „Elvira Madigan“ sagte er: „Während die Charaktere vollständig im Moment aufgehen, eilt die Handlung ihrem tragischen Ende entgegen. Der Tod wartet am anderen Ende und es ist seine Gegenwart, die all den glücklichen Momenten erst ihre Farbe verleiht.“ Zum Wissenden um den Tod wird Widerberg in seinen Filmen selbst.

Er kennt das Ende seiner Figuren und schenkt ihnen, bis es denn soweit ist, das Höchstmaß an Leben. Damit ist kein unbedingt seliges, vielleicht noch nicht einmal angenehmes gemeint. Aber es ist ein erlebtes. Und darin, im gezeigten Erleben, liegt die Magie dieser Filme. Es ist ihr Modus Operandi – und war womöglich auch der Bo Widerbergs.

Dieser Text erscheint im taz.plan. Mehr Kultur für Berlin und Brandenburg immer Donnerstags in der Printausgabe der taz

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