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Unendlich verschlungen

Oft kopiert, nie erreicht: „Kusama: Infinity“, ein Dokumentarfilm von Heather Lenz zum 90. Geburtstag der großen japanischen Avatngarde-Künstlerin Yayoi Kusama wird nun auf DVD veröffentlicht

Eine Marke: siehe das Filmplakat Foto: Magnolia Pictures

Von Katharina J. Cichosch

Eine therapeutische Deutung des eigenen Werks würden sich viele Künstlerinnen verbitten. Nicht so Yayoi Kusama: Sie verwandle ihre psychischen Probleme in Kunst, gibt die 1929 geborene Japanerin freimütig selbst zu Protokoll. Und so darf man die Obsession ausnahmsweise wörtlich nehmen: Kusama, die seit Jahrzehnten mit der Diagnose einer Zwangsstörung lebt, arbeitet auch mit dieser.

Aus der Beschäftigung mit den immer gleichen Grundmustern heraus entfalten sich ihre Werke: Gemälde, die über zehn Meter in unzähligen Variationen winziger Netz- und Punktestrukturen in den Raum dehnen, oder Spiegelinstallationen mit Birnen wie leuchtende Galaxien, die Gefühle von Unendlichkeit evozieren.

„Kusama: Infinity“ greift die Unendlichkeit schon im Titel auf: Die neue Dokumentation erscheint pünktlich zum 90. Geburtstagsjahr von Yayoi Kusama. Im Gegensatz zu Filmen über ihre Kollegen Julian Schnabel (2018) und Christo (aktuell) kommt dieser, immerhin über eine der bekanntesten und umsatzstärksten lebenden Künstlerinnen, allerdings nicht in die Kinos, sondern erscheint direkt auf DVD.

Künstlerin wollte sie schon als Kind werden, erinnert sich Kusama, deren konservative, zugleich dysfunktionale Familie davon überhaupt nichts hielt, zu Beginn. Mit den traditionellen Kunstauffassungen in Japan konnte sie wenig anfangen – ihr Blick richtete sich nach Amerika, wo gerade wieder eine neue Welt im Entstehen begriffen war.

New Yorker Kampfeslust

„Ich wollte New York erobern“, fasst Yayoi Kusama unverblümt zusammen, und: „Ich wollte die US-Kunstgeschichte neu schreiben.“ Im Produktionsmonster New York fand sie jene Umgebung, die mit ihrem Output und ihrer Kampfeslust Schritt halten konnte. Kusama sei direkt und aggressiv vorgegangen, erinnert sich Carolee Schneemann, auch bei der Suche nach männlichen Mäzenen. Als ihr eine Hängung nicht gefiel, schrieb Yayoi Kusama einen enttäuschten Brief an die Galeristin – und kündigte an, ihre Werke zu entfernen, ergo die Ausstellung platzen zu lassen.

Dem Ideenklau aber hatte die Künstlerin wenig entgegenzusetzen: Oldenburgs „Soft Sculptures“ kamen verdächtig kurz nach einer gemeinsamen Schau mit ihren phallusbehangenen Stoffskulpturen, Warhol verpasste seinen Ausstellungswänden Muster, nachdem er das Prinzip bei seiner Kollegin bewundert hatte. Auch sonst wird Yayoi Kusama an vorderster Avantgarde-Front präsentiert, als Zeremonienmeisterin der „ersten homosexuellen Hochzeit“ und als Guerilla-Ausstellerin 1966 in Venedig, wo sie Narzissten-Spiegelkugeln für eine Handvoll Dollar verkauft, was ihr kurzer Hand verboten wird.

Sehenswert ist die unaufgeregte Dokumentation, in der O-Töne über Archivmaterial, Fotografien und Ausstellungsplakate gelegt und mit aktuellen Interview-Ausschnitten aus Kusamas Atelier verwoben werden, natürlich vor allem dank ihrer Protagonistin, die so unvermittelt, fast schmerzhaft raw wirkt, wenn sie von ihrer einzig verbrieften Beziehung erzählt („Er mochte keinen Sex, ich mochte keinen Sex, also hatten wir keinen Sex.“) oder davon, wie sie mangelnde künstlerische Anerkennung, schlicht „traurig“ machte.

Auch Einsamkeit scheint eine Rolle zu spielen: Die New Yorker Weggefährten betonen zwar, wie sehr sie sich freuten, als die dann bereits 64-Jährige nach ihrem Wegzug 1993 plötzlich wieder auf der Biennale in Venedig auftauchte. Kusama litt unter starker Angst, musste von einem Therapeuten begleitet werden, noch heute kehrt die 90-Jährige nach der Arbeit im Atelier allabendlich ins Krankenhaus zurück. Was sie zwischenzeitlich im Land, aus dem sie doch einst geflohen war, gemacht hatte und wie es ihr dort erging, schien aber niemand so genau nachgefragt zu haben. Manches Mal bleibt auch der Film an der Oberfläche dessen, was in gerade 74 Minuten an Anekdoten und Legenden erzählt wird.

In seinen aufschlussreichsten Momenten macht „Infinity“ (mal, wie im Klangteppich-unterlegten Abspann, unfreiwillig komisch) deutlich, dass Kunst für seine Protagonistin ohne Reichweite nicht zu denken ist. Weil die Kunst ja immer auch leicht größenwahnsinniges Stricken an der eigenen Unsterblichkeit ist und weil berühmt sein muss, wer sich eine Weile lang in die Unendlichkeit einschreiben will.

Durchschlagenden Erfolg erreichte Kusama im fortgeschrittenen Alter – nicht zuletzt, weil ihre Arbeiten sehr instagramable sind, wie der Film andeutet. Aber auch (und das zeigt der Film nicht) durch Kooperationen mit dem Luxuslabel Louis Vuitton, das nicht nur Kusamas Punkte auf Taschen drucken ließ, sondern ebenso die Künstlerin selbst mit ihren heute weltberühmten Signature-Looks in Kampagnen inszenierte, wie sie in den von ihr kreierten Endlosmustern aufgeht. Verschlingen & verschlungen werden: So ließen sich Kusamas Obsessionen ganz gut zusammenbringen.

„Kusama:Infinity“. Regie: Heather Lenz, USA 2018, 88 Min., DVD Magnolia Pictures/Zweitausendeins.

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