: Das Jauchzen der Henker
Große Lust aufs Pfählen spricht sich in der unwiderstehlichen Aufführung von Emmanuel Chabriers Oper „L’Étoile“ am Goetheplatz aus: ein Fest des schwarzen Humors
Von Benno Schirrmeister
Manchmal muss es nicht das große kühne Experiment sein, der wegweisende Regie-Ansatz: Die ambitionsarme Inszenierung, die Tom Ryser am Goetheplatz auftischt, muss als ordentliche Hausmannskost gelten, garniert mit hübschen Einfällen, nicht mehr. Und auch Stefan Rieckhoffs Bühne ist keine Offenbarung: Er hat ein anonym-klotziges Herrschaftsgebäude mit Aufzug, einen Platz davor und einen goldenen Rahmen drumherum gebaut. Trotzdem erweist sich die Produktion von Emmanuel Chabriers „L’Étoile – Das Horoskop des Königs“ als das Opernereignis der bisherigen Saison.
Erstens, weil dieses entzückende Werk in Deutschland selten bis nie gespielt wird. Es wirkt so herrlich unverbraucht. Zweitens: Diese Komposition berauscht und belebt. Später, 1880, als er in München „Tristan und Isolde“ hört, konvertiert Chabrier zum Anhänger Richard Wagners, den er laut seinen Briefen bis dahin noch nicht kennt. Hier aber, 1877, schreibt der Autodidakt noch geistvolle, leichtfüßige und aufklärerische Musik, die mitreißt, statt einzulullen. Mit großer Spielfreude geben sich die Philharmoniker unter Yoel Gamzous Leitung ihren schwelgerischen Rubati hin, lassen ihre Accelerandi zuverlässig im Exzess münden und bringen ihre auskomponierte Komik zum Funkeln: So klingt Musik, wenn sie wirklich verstanden ist und gelebt.
Drittens aber nutzen die SängerInnen den darstellerischen Freiraum aufs Vergnüglichste, gerade die sonst eher für weniger dominante Partien besetzte Ulrike Mayer: Ihr voller Mezzosopran verleiht der Hosenrolle des Hausierers Lazuli – heimliche Hauptfigur des Werks – Charakter; ihre turbulenten Tanz- und Klettereinlagen Temperament. Und dann ist da noch Luis Olivares! Der spielt König Ouf I. als unbändig-charmanten Trottel: Grandios singt er gemeinsam mit seinem Hofastrologen, dem Bassbariton Christoph Heinrich, das vom Komponisten komplett besoffen rhythmisierte „Duetto de la Chartreuse Verte“ – Chartreuse Verte ist ein populärer Kräuterlikör mit 69 Umdrehungen, der sich im Libretto auf Herz reimt und gegen alles hilft. Sandoval ist die majestätische Seidenschärpe verrutscht. Sein Selbstmitleid rührt ihn zu Tränen, und hilflos wie ein kleiner Bub klammert er sich an den Sterngucker: Ouf!
Ein Tyrann zum Knuddeln halt, der, wie jeder Teddy, im Grunde doch ein gefährliches Raubtier ist. Denn König Ouf feiert seinen Namenstag stets mit einer Hinrichtung: Das setzt die Handlung in Gang, durch die mit operettenhaftem Schalk plaudernd und die Anzüglichkeiten des Librettos erläuternd der Schauspieler Martin Baum in Liftboy-Uniform führt. Denn Ouf braucht ja – Unschuldige töten wäre barbarisch – einen Delinquenten. Und – Jammer über Jammer! – er findet keinen: Sein Terror hält die Untertanen, den Chor, klein. Kaum trauen sie sich aus dem Dunkel – Christian Kemmetmüllers Lichtregie macht das auf verblüffende Weise deutlich – und verkümmern seelisch: Als mit Lazuli endlich jemand den König versehentlich beleidigt hat, strömen sie herbei, tragen frohlockend das Folterinstrument auf die Szene und drängen sich als Mithenker auf: Noch 1800 hatte das revolutionäre Frankreich diese Hinrichtungsmethode im Ägyptenfeldzug praktiziert. Es geht darum, das Opfer auf einen spitzen Pfahl zu spannen, der, so jauchzt das Volk in zynischem F-Dur, „de tous les supplices le principal“ sei, also die vorzüglichste aller Martern.
Der gekonnte und spielerische Sadismus, mit dem das Libretto lang und breit diese Hinrichtungsmethode schildert und den König selbst ihr Instrument als scheinbar ganz gewöhnliches Fauteuil vorstellen lässt, das es aber in sich habe, ist von kühnem Sarkasmus. Auch wenn der Hofastrologe in letzter Sekunde die festliche Ermordung Lazulis noch abwendet und der am Ende die von Nerita Pokvytite distinguiert interpretierte Prinzessin Laoula kriegt: Dieser Sinn fürs Morbide gibt schon einen Vorgeschmack auf die absurde Komik des ein Jahrzehnt später über die Bühne wütenden „König Ubu“.
Die Chöre aber, prächtig einstudiert von Alice Meregaglia, stehen in Stimmführung und Wucht denen Etienne Méhuls, Jacques Fromental-Halévys oder Giacomo Meyerbeers nicht nach: Jene Tradition der Grande Opéra, in Deutschland zugunsten von Germanenkitsch seit 1933 von den Spielplänen getilgt, bleibt in ihrer Parodie zu ahnen, die wunderschön ist. Und doch zum Bersten komisch.
Wieder am 6.,10.,16., 25. 4., 19.30 Uhr, sowie 22. 4., 15.30 Uhr, Theater am Goetheplatz
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