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Betrunken allein gelassen

In Oldenburg stehen zwei Polizisten wegen fahrlässiger Tötung vor Gericht. Sie schweigen bisher zu den Vorwürfen

Hamid E. erinnert sich, dass sein Freund sehr betrunken gewesen sei. Milat R. trank zu Hause bereits eine Flasche Schnaps, in der Bar acht bis zehn Flaschen Bier und Longdrinks

Von Stefan Simon

Thorben M. und Tom S. sitzen mit zusammengefalteten Händen auf der Anklagebank in der ersten Strafkammer des Landgerichts Oldenburg. Ihre Gesichter wirken angespannt, regungslos verfolgen sie das Vorlesen der Anklageschrift. Den beiden 23 und 25 Jahre alten Polizisten wird fahrlässige Tötung vorgeworfen. Sie sollen den Tod des 23-jährigen Milat R. im Kreis Ammerland fahrlässig in Kauf genommen haben. Was an besagtem Abend im November 2017 geschehen ist, lässt sich nach dem gestrigen ersten Verhandlungstag durch die Anklageschrift und den Zeugenaussagen nur wage rekonstruieren.

Der 23-jährige Iraner Milat R. traf sich gegen 1 Uhr mit Freunden in einer Bar in der Oldenburger Innenstadt, wie aus der Anklageschrift hervorgeht, unter anderem auch mit Hamid E. Dieser erinnert sich, dass Milat R. sehr betrunken gewesen sei. Milat R. trank zu Hause bereits eine Flasche Schnaps, in der Bar acht bis zehn Flaschen Bier und Longdrinks. Ein anderer Freund sagte aus, er könne sich nicht erinnern, wie viel Milat R. getrunken habe.

Gegen 3 Uhr wurde Milat R. von den Türstehern aus der Bar geworfen, weil er zu betrunken gewesen sei. Der 23-jährige Iraner gestikulierte, flehte wieder hineingelassen zu werden. Mehrere Leute versuchten ihn daraufhin, laut Gericht, zu beruhigen. Milat R. verließ schließlich die Bar Richtung Bürgerpark. Dann lief er zur nächstgelegenen Polizeiwache. Dort habe er herumgeschrien und die Beamten immer wieder aufgefordert, ihn in die Kneipe zu lassen, aus der er verwiesen worden war. Als die beiden Polizisten ihm sagten, dafür seien sie nicht zuständig, habe Milat R. angefangen zu randalieren. Daraufhin sollen die Polizisten entschieden haben, ihn nach Hause zu fahren.

Als sie zu einem Einsatz gerufen wurden, haben sie den Mann auf einem Supermarktparkplatz abgesetzt, heißt es in der Anklageschrift. Dem Gericht zufolge forderten sie Milat R. auf, den Rest des Weges zu Fuß zu gehen. Die Staatsanwaltschaft geht davon aus, dass die beiden Polizisten sich nicht vergewisserten, dass der 23-Jährige orientierungsfähig war. In der Anklageschrift heißt es, dass er einen Blutalkoholwert von „1,1 Gramm Promille“ hatte und wohl unter dem Einfluss von Cannabis stand.

Als er losgelaufen war, rief Milat R. seinen Freund Hamid E. an. Milat R. sagte, dass eine Polizeistreife bei ihm war. „Er wirkte aggressiv“, sagte Hamid E. aus. „Ich sagte ihm, er soll mit den Polizisten mitfahren und sie ihn zu mir bringen.“ Doch Milat R. weigerte sich, sagt seinem Freund, dass die Polizisten ihn irgendwo raus gelassen hätten. Gegen 6.38 Uhr schreibt Hamid eine Nachricht: „Schick mir deinen Standort.“ Dann schreibt er noch eine: „Hast du mir den Standort schon geschickt?“ Um 6.41 Uhr antwortet Milat: „Ja, habe ich.“ Dann antwortet Hamid nochmal, dass nichts angekommen sei. Über 30 Minuten vergehen, dann versucht Hamid, seinen Freund noch einmal zu erreichen. Doch er erhält keine Antwort.

Im gleichen Zeitraum gehen Notrufe ein von mehreren Menschen, die davon berichten, dass ein schlecht zu sehender Mann auf der Fahrbahn laufe, das geht aus dem Polizeibericht zum späteren Unfall hervor. Laut Staatsanwaltschaft trug der Mann dunkle Kleidung. Beamte suchten und fanden den 23-Jährigen an der beschriebenen Stelle in Ra­stede (Landkreis Ammerland), sie forderten ihn auf, den Gehweg zu nutzen. Doch er lief davon. Eine halbe Stunde später wurde Milat R. von einer 29-jährigen Frau überfahren. Später, im Krankenhaus, unterlag er seinen Verletzungen.

Die beiden angeklagten Polizisten schwiegen am gestrigen Dienstag zu den Vorwürfen. Auf fahrlässige Tötung stehe eine Geldstrafe oder eine Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren, sagte eine Gerichtssprecherin.

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