: Alle Fragen bleiben offen
In dem Strafverfahren gegen drei Männer, die Silvester 2017 einen syrischen Jungen zu Tode getreten haben, fordern die einen Freispruch, die anderen hingegen lange Haft
VonKlaus Wolschner
Zwölf Jahre Gefängnis oder Freispruch – das ist die Frage, die die Jugendkammer des Bremer Landgerichtes entscheiden muss. Nach mehr als 60 Verhandlungstagen soll der Prozess zu Ende gehen, in dem zwei erwachsene Männer und ein Jugendlicher beschuldigt werden, den 15 Jahre alten syrischen Flüchtling Odai K. in der Silvesternacht 2017 gejagt und zu dritt regelrecht zu Tode getreten zu haben. Zwölf Jahre Haft für die Männer hat die Staatsanwaltschaft gefordert, sechs Jahre für den Jugendlichen.
Fünf Stunden lang trugen die drei Verteidiger gestern ihre Gegenargumente vor. „Yesiden und PKK’ler kennen sich mit dem Verlust von Menschenleben aus“, erklärt Anwalt Martin Stucke zu Beginn seines Plädoyers, sein Mandant Hayat G. habe aus diesem Grunde in jedem Prozesstag eine schwarze Krawatte getragen. Eine Aussage zu der vorgeworfenen Tat hat er aber genauso wenig gemacht wie die anderen Angeklagten. Warum es zu der Hetzjagd gekommen ist, konnte das Gericht daher ebenso wenig klären wie die Frage, ob die Angeklagten ihr Verhalten in der Silvesternacht bereuen.
Was Anlass für die Eskalation um Mitternacht war, konnte keiner der Zeugen sagen. Jene aus Hausnummer 18, die nach Angaben des Verteidigers zu einer kurdischen Großfamilie gehören, hatten auf der Straße gestanden, und gegenüber standen die „aus der 14“. Der Angriff scheint völlig überraschend und willkürlich gekommen zu sein. Der Konflikt habe damit begonnen, so Zeugen, dass die aus der 18 in bedrohlichem Ton gefragt hätten: „Sprecht ihr Arabisch?“ oder: „Seid ihr Daesh?“
Offensichtlich liegen die Nerven der verschiedenen Gruppen blank, die da in der Straße auf engem Raum nebeneinander wohnen, seitdem in Syrien Krieg herrscht zwischen Islamisten und Kurden. Odai K. jedenfalls rannte weg, die Männer aus der Nummer 18 hetzten hinterher. K. suchte Schutz ein einem Café, in dem eine Gruppe von türkischen Männern Silvester feierte. Er lief in einen Hinterraum, aus dem es keinen Ausweg ab. Die drei Männer kamen hinterher, schlugen noch auf den am Boden liegenden Jungen ein. Eine Woche später war er tot.
Nach der Obduktion ist er nicht an den schweren Gehirnverletzungen gestorben, sondern an einer Lungenentzündung, die er sich im Krankenhaus im künstlichen Koma zugezogen hatte. Schon deswegen, so die Verteidigung, könne es keine Gewalttat mit bewusster Inkaufnahme des Todes sein, höchstens eine Körperverletzung mit Todesfolge. Der Unterschied sind bis zu 15 oder maximal drei Jahre Haft.
Aber waren es überhaupt die Angeklagten, die da schlugen? Das bestreitet die Verteidigung. Die belastenden Aussagen seien so widersprüchlich, dass man sie nicht werten könne. Es habe ein „Aussagekomplott“ gegeben, salafistische Kreise hätten die Gelegenheit genutzt, die als PKK-Sympathisanten bekannten Kurden zu belasten. Das „Komplott“ sei möglicherweise dadurch motiviert, so der Anwalt Stucke, dass zwei der drei Angeklagten in der Szene beschuldigt werden, an einem brutalen Axt-Überfall in der Neustadt zwei Jahre zuvor beteiligt gewesen zu sein. Das Opfer: ein bekannter Salafist.
Der Verteidiger des Jugendlichen argumentierte deutlich moderater: Dem damals 15-jährigen Neffen der Familie G. seien weder schwerwiegende Tathandlungen noch ein Tötungsvorsatz nachgewiesen worden, erklärte der Anwalt. Für den Jugendlichen käme daher höchstens einen gemeinschaftliche gefährliche Körperverletzung in Frage. Die einzige ihn belastende Aussage bezieht sich auf einen angeblichen Schlag ins Gesicht. Nach zwei Jahren U-Haft müsse er nun freigelassen werden, argumentiert sein Anwalt.
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