debatte: Der Kreidekreis-Effekt
Franziska Giffeys Idee, Väter mit dem Hälftigkeitsprinzip besserzustellen, ist frauenfeindlich. Und nicht nur alleinerziehende Mütter, auch die Kinder leiden
Udo Knapp
geboren 1945 in Altenburg, war der letzte Vorsitzende des SDS, wurde Politologe und Publizist und war lange SPD-Politiker auf Rügen.
Familienministerin Franziska Giffey will die Väter, die von ihren Frauen und den gemeinsamen Kindern getrennt leben, bei den Unterhaltszahlungen entlasten. Die Männer hätten sich geändert, sie seien bereit, Verantwortung für die Erziehung auch außerhalb der einst gemeinsamen Familie zu übernehmen. Deshalb brauchten sie zumindest die Hälfte des Unterhaltes, den sie heute den fast 1,4 Millionen nach einer Trennung allein erziehenden Frauen zahlen müssen, selber. Geht’s noch?
Noch vor wenigen Jahren waren die Verhältnisse klar. Die Frauen bekamen die Kinder, die gehörten dann prinzipiell zu den Müttern. Die bekamen in aller Regel das Sorge- und das Aufenthaltsbestimmungsrecht und die Männer mussten für die Kinder Unterhalt zahlen. Für die Kinder war der Verlust des Vaters oft schmerzhaft, aber sie wussten, wo sie hingehörten. Ihr Leben hatte Struktur. Diese alleinerziehenden Mütter haben in aller Regel, wie Heldinnen, ihr eigenes Leben und das ihrer Kinder auf die Reihe bekommen. Die weggelaufenen Männer bezahlten zwar oft einfach den Unterhalt nicht, doch der Staat hat das mit Millionen ausgeglichen. Millionen, die er oft nicht bei den Männern wieder eingetrieben hat. Viele alleinerziehende Frauen haben das Nichtzahlen auch gar nicht erst angezeigt. Sie haben ihre Kinder alleine großgezogen, nicht selten durch den Verzicht auf ein eigenes, selbstbestimmtes Leben.
Trotzdem wurden diese Frauen oft für das Scheitern der Familien verantwortlich gemacht. Sie wurden massiv benachteiligt, von den Jugendämtern schikaniert und als gescheitert diskriminiert. Muss hier erst daran erinnert werden, dass kurz nach dem 2. Weltkrieg dieses Alleinerziehungsmodell Normalfall war, weil die Männer für die Nazis in den Kriege gezogen waren?
Dann aber, im Zuge der Emanzipation, waren Frauen oft nicht länger bereit, sich ihren in jeder Hinsicht gesellschaftlich bevorzugten Ehegatten und deren Macken unterzuordnen. Sie waren selber stark. Sie wussten, dass sie die Männer und deren Probleme mit dem Autoritätsverlust für ihr Leben mit Kindern nicht brauchten. Ihre Männer sind nicht mehr selber gegangen, sie wurden rausgeworfen, weil sie nicht bereit oder in der Lage waren, sich ihren starken, selbstbewussten Frauen anzupassen. Die Kinder dieser freiwillig Alleinerziehenden hatten oft die volle und uneingeschränkte Liebe ihrer Mütter, die jetzt aus eigenem Willen die Rollen ihrer Mütter im Kampf um das gute Leben ihrer Kinder übernahmen.
Aber jetzt trat, wie so oft bei großen gesellschaftlichen Veränderungen, die Konterrevolution auf den Plan. Die Männer, und mit ihnen die Sozial- Jugend- und Familienpolitiker, die Familiengerichte und Jugendämter entdeckten die Gleichheit als konterrevolutionäres Kampfmittel, um die Frauen und – noch schlimmer – die Kinder zurückzuholen in zerbrochene Beziehungen. Mit der Parole, Väter und Mütter müssten auch als getrennte Eltern in allen Fragen der Kindererziehung gleichgestellt werden, wurde über Jahre und mit mehreren gesetzlichen Reformen das Sorgerecht ausgehöhlt und das Wechselmodell erfunden.
Die Familiengerichte beschäftigen sich nun damit, getrennte Eltern, angeblich zum Wohl ihrer Kinder, dazu zu zwingen, sich über Erziehungsfragen zu verständigen. In demütigenden Mediationsverfahren sollen die sich über Fragen einigen, derentwegen sie sich – überspitzt gesagt – vielleicht erst getrennt haben.
Und besonders beleidigte, gekränkte Väter spielen in diesen Verfahren eine üble Rolle. Sie lassen ihre Anwälte Schreiben verfassen, auf die die Frauen und ihre Anwälte wiederum antworten müssen.
Und als ob das alles noch nicht reicht, zwingen manche dieser um Gleichberechtigung in Erziehungsfragen kämpfenden Männer ihre kleinen Kinder, allein vor einem Familienrichter, einer für sie völlig fremden Person, Fragen zu beantworten: Ob sie bei Vater oder Mutter leben wollen, beim wem sie mehr Zeit verbringen wollen. Die Antwort der Kinder wird entscheidungsleitend in den Spruch der Richter einbezogen.
Und nun kommt von Familienministerin Franziska Giffey der nächste konterrevolutionäre, frauenfeindliche Schlag: Jetzt sollen die Väter mit dem Hälftigkeitsprinzip von den Unterhaltskosten entlastet werden.
Dabei wird die Alltagsrealität vieler Väter und Mütter ignoriert. Das Wechselmodell, das hier zur Begründung herangezogen wird, ist nur von zwei gut verdienenden Eltern zu bezahlen. Mit dem halben Unterhalt kann weder der Normalverdiener-Vater noch die Alleinerziehende das Notwendige für die Kinder in zwei Wohnungen bezahlen. Allerdings ist der Mann hier in der Regel im Vorteil, weil er in Deutschland eben immer noch bis 30 Prozent mehr verdient als die Frauen. Wenn er außerdem, was vorkommt, eine neue Familie gründet, ist er wieder Doppelverdiener. Die Frauen, die wegen der Kinder zumindest halbtags zu Hause geblieben sind, oder die aus freiem Willen alleine mit ihren Kindern leben wollen, sind jetzt doppelt geschlagen, sie müssen nun – zusammen mit ihren Kindern – auch noch für ihren Karriereverzicht bezahlen.
Wieso gelingt es den konterrevolutionären Väter-Männern mit dem Missbrauch des Menschenrechtes auf Gleichheit vor dem Gesetz die Frauen systematisch zu schwächen und sie so um ihre mit so viel Mut erkämpften Frauenrechte zu bringen? Ja, sie mit diesen Argumenten zum erneutem „Wohlverhalten“ in der Ehe oder in der gemeinsamen Elternschaft zu zwingen?
Das ist der Kreidekreis-Effekt. Während Giffey, sich von Männern für deren Rollback einspannen lässt, schweigen die Alleinerziehenden, weil sie das Gezerre, dem ihre Kinder von den Väter-Männern und jetzt auch noch von Frau Giffey ausgesetzt werden, nicht ertragen.
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