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Radler wollen länger leben

Die Volksinitiative „Radentscheid Hamburg“ will den Senat zur Schaffung eines sicheren und nachhaltigen Fahrradverkehrs verpflichten. Die Verkehrsbehörde verweist auf ihr laufendes Programm. Gerade erst wurde wieder ein Radler von einem Rechtsabbieger überfahren

Von David Günther

Der Zeitpunkt ist so passend wie tragisch. Am selben Tag, an dem ein 48-jähriger Mann von einem rechts abbiegenden Lastwagen in Hamburg-Stellingen an einer Kreuzung überfahren wurde, meldete die Gruppe „Radentscheid Hamburg“ ihre Volksinitiative im Senat an. Die Initiative beinhaltet 12 konkrete Ziele, die den Stadtverkehr nachhaltig und sicher machen sollen. Seit 2018 setzt sich die Gruppe „Radentscheid Hamburg“ für eine Wende in der Verkehrspolitik ein.

Der 12-Punkte-Plan nimmt besonders SchülerInnen, BerufspendlerInnen und den Alltagsradverkehr in den Blick. „Es wird Zeit, das Fahrrad in unserer Stadt als gleichwertiges und umweltschonendes Verkehrsmittel zu fördern“, sagt Günther Reimers, Gründungsmitglied der Initiative.

Ihr Forderungskatalog reicht von einem dichten, barrierefreien Radfahrnetz für alle über sichere Schulradwege, kreuzungsarme Radschnellwege sowie rad- und fußverkehrsfreundliche Ampeln bis hin zum diebstahlsicheren Fahrradparken. Nach niederländischem Vorbild sollen geschützte Kreuzungen gebaut werden. Dabei trennen Verkehrsinseln den Fahrrad- vom Autoverkehr; sie verengen den Kurvenradius und zwingen die Autofahrer, langsam abzubiegen.

Organisatorisch erhofft sich die Initiative einen Fortschritt davon, die Planung und Überwachung des Verkehrs verschiedenen Behörden anzuvertrauen. Die Umsetzung des Radverkehrsgesetzes soll nach einer gewissen Zeit evaluiert werden.

„Wir haben nichts gegen den Autoverkehr, wir wollen etwas für den Radverkehr tun“, versichert Reimers. Er selbst lasse seine Enkel nicht in Hamburg mit dem Rad fahren. „Das ist zu gefährlich und stressig.“ Oft führen etwa Busse zu dicht an FahrradfahrerInnen vorbei und machten diesen Angst.

Solche Verhältnisse kritisiert auch der Allgemeine Deutsche Fahrradclub (ADFC) in Hamburg. Deshalb begrüßt er die Initiative. „Viele Ziele, die im 12-Punkte-Plan angesprochen werden, fordern wir schon lange“, sagt ADFC-Sprecher Dirk Lau. Der rot-grüne Senat baue den Radverkehr nur schleppend aus. „Wir begrüßen es, wenn sich der politische Druck auf den Senat erhöht, damit er mehr für den Radverkehr tut“, sagt Lau.

Sein Pendant vom Automobilclub ADAC, Christian Hieff, kann ebenfalls verstehen, warum es den Leuten von „Radentscheid Hamburg“ zu langsam geht mit dem Umbau des Verkehrssystems. Auch der ADAC setze sich für die schwachen Verkehrsteilnehmer ein. Viele der Ziele des Radentscheids verfolge der Senat bereits.

Laut der Verkehrsbehörde tut die Stadt schon viel für den Radverkehr. „Mehr als 250 Maßnahmen sind allein für den Veloroutenausbau in der Pipeline“, teilt die Behörde mit. Diese Routen sollen gut ausgeschildert über lange Strecken eine bequeme und sichere Fahrradfahrt gewährleisten.

Allerdings kritisiert der ADFC die Umsetzung: Die angestrebte Mindestbreite von zwei Metern sei oft nicht gewährleistet. Laut einem Gutachten des Gesamtverbands der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) wird zudem oft der Mindestabstand von anderthalb Metern zum Autoverkehr nicht eingehalten. „Es ist oft gefährlich, dort Fahrrad zu fahren, besonders für Kinder“, sagt Reimers.

Der Weg zum Gesetz

Ein Volksinitiative benötigt in Hamburg 10.000 Unterschriften.

Ein Volksbegehren muss von einem Zwanzigstel aller Wahlberechtigten unterstützt werden.

Volksentscheid: Der Entwurf wird dem Volk zur Entscheidung vorgelegt. Die Bürgerschaft kann einen konkurrierenden Entwurf vorlegen.

46 Verfahren sind bisher abgeschlossen worden, davon 3 mit einer erfolgreichen Abstimmung. Die übrigen wurden abgeschmettert oder vom Parlament übernommen.

In anderen Städten sind die Initiativen für Fahrrad-Volksentscheide meist gescheitert. Oft habe das juristische Gründe gehabt, sagt Reimers. In Stuttgart bezeichnete ein von der Stadtverwaltung in Auftrag gegebenes Gutachten das „Bürgerbegehren für fahrradfreundliches Stuttgart“ als rechtlich unzulässig. Auch in Kassel gab es Probleme: Nach einem Bericht der Hessischen/Niedersächsischen Allgemeinen wurden nach einer stichprobenartigen Kontrolle knapp 22.000 Unterschriften für ungültig erklärt.

Anders lief es in der Hauptstadt. „Berlin war eine der wenigen Städte, die die Vorschläge angenommen haben“, sagt Reimers. Im Sommer verabschiedete das Abgeordnetenhaus ein „Radverkehrs- und Mobilitätsgesetz“. Den Anstoß dazu gab laut der Pressemitteilung des „Volksentscheids Fahrrad“ das von der Volksentscheidsinitiative ausgearbeitete Gesetz.

Die Hamburger Verkehrsbehörde freut sich über Ideen und Anregungen aus der Zivilgesellschaft. „Jeder Vorschlag gibt uns wertvolle Anregungen“, teilt sie mit und verweist auf ein Bündnis für den Radverkehr zwischen dem Senat und den sieben Bezirken aus dem Jahr 2016. Seither habe die Stadt sich entschlossen auf den Weg gemacht, um mitten in die bebaute Stadt ein modernes Radverkehrssystem zu integrieren.

Die Volksinitiative für den Rad­entscheid benötigt 10.000 Unterschriften von HamburgerInnen, um in die zweite Phase der Volksgesetzgebung eintreten zu können. Reimers ist erwartungsvoll und hofft auf große Beteiligung.

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