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„Unser Produkt? Fertige Gesellen“

Das Handwerk sucht dringend Fachkräfte. Im Harburger Hafen haben Arbeitslose die Möglichkeit einer qualifizierten Ausbildung zum Bootsbauer oder Tischler. Eine Altersbegrenzung nach oben gibt es nicht

Von Niels Holsten

Wo kann man schon sein eigenes Tretboot bauen – und gleichzeitig an seiner Zukunft? Im Hafen von Hamburg-Harburg: In der dortigen Zitadellenstraße unterhält die Stiftung berufliche Bildung eine kleine Werft, in der bis zu 50 Frauen und Männer an diesem und anderen Projekten arbeiten. Sie alle machen eine Umschulung zum Bootsbauer oder Tischler im Bildungszentrum für Holzberufe.

Annie Rose Cruz Cao etwa: Sie lernt Tischlerin und ist seit sechs Monaten dabei. „Nach einem einwöchigen Praktikum war ich gleich voller Elan und wollte sofort anfangen“. Sie habe gespürt, „das mach ich leidenschaftlich gerne“. Die 37-Jährige wollte nach einer Musical-Ausbildung neu durchstarten. Ein wichtiges Kriterium für die zweifache Mutter: Dass sie das auch in Teilzeit machen kann – was allerdings die Ausbildungsdauer von 24 auf 36 Monate verlängert. Der Umschulung in Harburg muss die Agentur für Arbeit beziehungsweise das Jobcenter zustimmen; dann gibt es einen Bildungsgutschein, der die Finanzierung sichert.

In der Regel müssen die Bewerber*innen mindestens 25 Jahre alt sein, schon eine Ausbildung absolviert haben, mindestens ein Jahr lang versicherungspflichtig beschäftigt gewesen sein – und mindestens ein Jahr lang arbeitslos. Eine Altersgrenze nach oben gibt es nicht, im Bildungszentrum für Holzberufe ist der älteste Umschüler gerade 55 geworden. Ein vorgeschriebenes Praktikum hilft dann bei der Entscheidung, ob auch die Werft den Anwärter für geeignet hält.

„Die meisten der Bewerber sind in eine Sackgasse geraten“, sagt Gorch von Blomberg, Bereichsleiter im Bildungszentrum für Holzberufe für die „Stiftung berufliche Bildung“. Diese Menschen, bei der Agentur für Arbeit gelandet, wollten „aus Ihrem Leben noch einmal etwas machen“ – aber das sei manchmal gar nicht so einfach. „Wir hatten gerade so einen Fall mit einer Frau, mit der wir schon eineinhalb Jahre in Kontakt standen, und die immer wieder anrief, dass es sie noch gibt“, erzählt von Blomberg. „Die hat sich ihr Recht auf Umschulung vor dem Sozialgericht erstritten, das hat mich beeindruckt.“ Viele kämen aus schwierigen Situationen, sagt der 53-jährige von Blomberg, der selbst schon Inhaber einer Werft für umweltgerechten Bootsbau war. „Ich halte es für wichtig, das sie dort schnell wieder rauskommen.“

Für Cruz Cao gestaltete sich der Weg auf die Werft weniger schwierig: Sie bekam ihren Bildungsgutschein – und damit ihren Umschulungsplatz. Besonders schätze sie, „dass wir unterschiedliche Herangehensweisen lernen, weil wir verschiedene Meister zur Verfügung haben“. So habe sie die Möglichkeit zu schauen, was für sie am besten funktioniere, „sozusagen meine eigene Technik erlernen“, sagt Cruz Cao. Überhaupt: „Jeder, der seinen eigenen Weg finden möchte, ist hier gut aufgehoben.“

Auf sechs bis acht Umschüler kommt hier ein Betreuer. Aber auch von den Mitschülern könne man viel lernen: „Das ist toll, dass hier so eine Gruppendynamik ist, das jeder jedem hilft, wenn er nicht weiterkommt“, sagt Cruz Cao. Es gebe einen starken sozialen Zusammenhalt, alle seien sehr teamfähig. Für sie selbst komme vieles von dem zusammen, was sie schon gelernt habe – sogar „von der Musical-Ausbildung: Wie gehe ich vernünftig mit meinem Körper um?“

Bevor die Stiftung die Werft im Jahr 2011 übernahm, betrieb sie der Verein „Jugend in Arbeit“. Restauriert worden seien damals „viele Traditions- und Museumsschiffe“, sagt Bootsbaumeister von Blomberg – „alles was nicht größer ist als die ‚Cap San Diego‘“, jener Stückgutfrachter, der heute an der Hamburger Überseebrücke besichtigt werden kann.

Seit dem Wechsel verfolge man ein anderes Konzept, so von Blomberg: „Wir führen die Umschulungen ohne Abhängigkeit von externer Kundschaft durch. Wir wollen nicht ausgebremst oder zerrieben werden zwischen Kundeninteressen.“ Man wolle auch nicht Konkurrenz zur Schiffsbaubranche sein, sondern ihr Kooperationspartner. „Unsere Produkte sind fertig ausgebildete Gesellen, nicht Boote oder Tische.“

Man wolle die Fachkräfte ausbilden, die gebraucht werden. Und so nehme man auch schon mal Praktikanten aus „normalen“ Betrieben, um ihnen etwas Ergänzendes beizubringen. Umgekehrt gehören zur Umschulung externe Praktika, insgesamt vier bei den Bootsbauern, drei bei den Tischlern. Annie Rose Cruz Cao interessiert sich für Möbelbau und absolviert gerade in einem Betrieb ihr erstes Praktikum. „Dort erfahre ich noch mal andere Dinge“, sagt sie – „zum Beispiel unter Zeitdruck zu arbeiten.“

Im Bildungszentrum wird ausschließlich an eigenen Booten gelernt. Auf circa 1.500 Quadratmetern, in einer Werkbank- und einer Maschinenhalle kann restauriert, repariert oder eben auch ein ganzes Boot gebaut werden.„So lässt sich die gesamte Bandbreite des umfangreichen Ausbildungsrahmenplans abdecken“, sagt von Blomberg. „Unser Ziel ist, dass jemand, der von uns mit dem Gesellenbrief in die Wirtschaft geht, in jeder Situation sagen kann: Ja, das kann ich auch.“

Man wolle der beste und beliebteste Bildungsträger im gewerblichen Bereich in Norddeutschland werden. „Davon sind wir aktuell vier Jahre und zehneinhalb Monate entfernt“, sagt von Blomberg. Probleme, die Absolventen nach bestandener Prüfung vor der Handwerkskammer in Jobs zu kriegen, sieht er keine: „Versuchen sie mal, einen Tischlerbetrieb zu finden, der noch Kapazitäten hat und innerhalb weniger Monate liefern kann – die brauchen Fachkräfte“, so von Blomberg. Und das nicht nur in Deutschland: Ein Umschüler aus dem letzten Jahrgang sei nach Dubai gegangen. Auch im Flugzeuginnenausbau und Windkraftanlagenbau seien die Absolventen begehrt.

Eine Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung und des Bundesinstituts Berufsbildung prognostiziert für das Jahr 2030 Fachkräftemangel für die Baubranche sowie in der Holz- und Kunststoffbe- und -verarbeitung – 25.000 Menschen sind es demnach allein in Norddeutschland. Auch Annie Rose Cruz Cao erzählt, ihr Praktikumsbetrieb habe gefragt, ob sie nicht Mitarbeiterin werden wolle. Aber nach gerade mal sechs Wochen Ausbildung stehe das für sie noch „in den Sternen“.

Am 22. März beginnt der nächste Tischler-Lehrgang, am 6. Mai der für Bootsbauer. Bewerbungen sind noch möglich bei Gorch von Blomberg, ☎040/211 12-435, gorch.vonblomberg@jia-hamburg.de

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