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Schneidersitz-Sessel statt Stahlrohrmöbeln

Die Ausstellung „bauhaus imaginista“ am Berliner Haus der Kulturen der Welt will eine andere Geschichte der Schule erzählen und blickt auf ihre internationale Wirkung

Von Sophie Jung

Hans Willem Snoeck muss sehr überrascht gewesen sein, als ihn 2016 die Kulturwissenschaftlerin Marion von Osten und der Design­historiker Grant Watson in Brooklyn kontaktierten, um eine Zeichnung seiner eher bescheidenen privaten Kunstsammlung in einer internationalen Bauhaus-Ausstellung zu zeigen. Als nur einer von vier Gegenständen aus der Zeit des Bauhauses sollte dieses kleine Blatt von Paul Klee, das Snoeck kurz zuvor bei Sotheby’s erworben hatte, die Geschichte dieser großen Schule illustrieren.

So richtig „bauhausig“ ist die Zeichnung zudem nicht: In schwarzen krakeligen Linien, Kreuzen und Kreisen hatte Klee 1927 ein kleinteiliges Muster aufs Blatt gezogen. Rechtsschüssig und krumm fügt es sich zu einem naivlichen Ornament zusammen – Klee hatte es nach Vorbild eines marrokanischen Azilal-Teppichs angefertigt. Wenig also ist auf der Zeichnung von den cleanen Formen zu sehen, den Quadraten eines Gropius’schen Direktorenzimmers und den Kreisen einer Oskar-Schlemmer-Maske, die sonst mit der Marke Bauhaus verknüpft sind.

Nun befindet sich die Zeichnung des langjährigen Bauhauslehrers Klee (er lehrte von 1920 bis 1931 an der Schule) tatsächlich im Berliner Haus der Kulturen der Welt, das am Donnerstag die große Ausstellung „bauhaus imaginista“ eröffnete. Sie hängt nicht klassisch ausgeleuchtet an der Wand, sondern liegt wie beiläufig abgestellt auf einem niedrigen Podest. Und um sie herum zweigen die beiden Kuratoren von Osten und Watson ein ganzes Kabinett ethnografischer Sammlungsstücke und Studien ab: Webteppiche nach peruanischer Technik, Tonvasen und Drucke aus Mexiko, Recherchefotografien, Farb- und Musterstudien. Alles Artefakte eines kolonialen Blicks, den auch Klee mit seinen Studien orientalischer Teppiche am Bauhaus mitlehrte.

„Bauhaus imaginista“ ist eine fein verästelte Ausstellung über die berühmte Designschule, die von Walter Gropius vor hundert Jahren gegründet wurde, keine 15 Jahre bestand, aber bis heute mit ihrer Gestaltung von Rohrstühlen und kubischen Architekturen ein kultureller Exportschlager ist. Doch die weltbekannten drei Bauhaus-Embleme Quadrat, Dreieck und Kreis tauchen in dieser weit ausgreifenden Schau nicht auf. Denn „es gibt keine Meistererzählung“, stellt von Osten in der Pressekonferenz fest.

Das kanonische Geometrie-Tripel in Elementarfarben, das für jene Meistererzählung steht und vor allem auf ein schlaues Marketing von Walter Gropius zurückgeht, wird mit „bauhaus imaginista“ symbolisch gesprengt. Ebenso wie die Zeichnung von Paul Klee in einem der Säle einfach mal abgelegt und nicht ehrfürchtig an die weiße Wand gehängt wird. Die seit Jahrzehnten in Forschung, Museen und Medien übermittelte Wirkungsgeschichte dieser Hochschule, in der Protagonisten wie Gropius, Mies van der Rohe oder das Ehepaar Anni und Hans Albers ab 1933 wie Missionare in die Welt ausströmten und die Bauhaus-Idee einer Einheit der Künste und der klaren Form verbreiteten, ist damit auserzählt.

In einer Gegenwart der vielen Narrative nehmen auch Watson und von Osten mit ihrem enormen Ausstellungs- und Forschungsprojekt „bauhaus imaginista“ eine dezentrale Perspektive ein und schreiben nicht eine, sondern viele, und zwar kritische Geschichten des Bauhaus auf: 18 Wissenschaftlerinnen recherchierten in China, Brasilien, den USA oder Nigeria zu personellen und intellektuellen Verknüpfungen mit der Kunsthochschule.

Die Emblematik von Quadrat, Dreieck und Kreis ersetzen die Kuratoren in der Ausstellung durch vier Gegenstände: die erwähnte Klee-Zeichnung mit dem Muster eines marokkanischen Teppichs, das Bauhaus-Manifest zur Gründung der Schule mit der Verkündung einer neuen demokratischen Kunstausbildung, eine Bildserie von Marcel Breuer, in der er ein Sitzmöbel sukzessive vom massiven Thron zum unsichtbaren Gestell auflöst, und schließlich ein Lichtspiel von Kurt Schwerdt­feger, das 1922 während einer Privatparty bei Wassily Kandinsky wohl eine frühe Form der Diskokugel darstellte.

Es sind vier ungewöhnliche Objekte aus der Bauhaus-Geschichte. Sie fungieren in der Ausstellung als Fallstudie, von der eine schiere Ansammlung von seltenem Archivmaterial, Filmaufnahmen, Architekturmodellen und Kunst von Anni Albers über Andy Warhol bis zu Zeitgenossen wie Alice Creischer für die weit ausstrahlenden Stränge und Suberzählungen der 100-jährigen Geschichte dieser Schule ausgeht.

Dabei treten Dinge hervor, die bei einem so ausgeforschten Thema wie dem Bauhaus eine peinliche Blindheit in seiner Rezeption gegenüber nichtwestlichen Teilen der Erde preisgeben. Wer wusste, dass der Bauhausschüler Konrad Püschel bis 1959 die nordkoreanische Stadt Hanghung wiederaufbaute? Und wer weiß von einem regelrechten Kulturtransfer zwischen dem Bauhaus und der Kala-Bhavan-Schule bei Kolkata?

Wer wusste, dass der Bauhausschüler Konrad Püschel bis 1959 die nordkoreanische Stadt Hanghung wiederaufbaute?

Der Poet Rabindranath Togore hat diese Kunstschule in einer Aussteiger-Community in Westbengalen gegründet, in ihrer Lehre wurden Arts-and-Crafts-Elemente und indisches Handwerk verknüpft. Tagore war in der Weimarer Republik eine Berühmtheit, seine naturverbundenen, esoterischen Gedichte müssen viele Menschen in dieser vom ersten Weltkrieg und Rezession erschütterten Gesellschaft berührt haben.

Im Ausstellungskatalog gibt es die Reproduktion eines Plakats des Weimarer Staatstheaters, das zu Ehren von Tagores 60. Geburtstag 1922 ein großes Fest ausrichtete. An der Kala-Bhavan unterrichtete auch die österreichische Kunsthistorikerin Stella Kramrisch, die, mit dem Bauhaus-Lehrer Johannes Itten befreundet, 1922 eine erste internationale Bauhaus-Ausstellung in Kolkata bewirkte. Kunstwerke von Bauhäuslern und Schülern der Kala-Bhavan-Schule waren 1922 gemeinsam in dieser Schau, der 14. Jahresausstellung der Indian Society of Oriental Art, zu sehen.

Im HKW rufen von Osten und Watson diesen historischen Moment mit Schülerarbeiten der Kala-Bhavan wach, mit Zeichnungen, Wandmalereien und Möbelentwürfen. Wo sonst in einer Bauhaus-Ausstellung Marcel Breuers Stahlrohrmöbel stünden, nimmt nun ein handgeschnitzter Schneidersitz-Sessel von Tagores Sohn Rathindranath einen Platz ein. Und da die Arbeiten aus Kala-Bhavan, wie so viele in dieser Schau, doch etwas lose daherkommen, haben von Osten und Watson sie in einer Architektur des zeitgenössischen Künstlers Luca Frei installiert – der damit, nun doch mit Anspielung auf Quadrat, Kreis und Dreieck, einen visuellen Link zum Bauhaus entworfen hat.

Die Installation von Luca Frei verdeutlicht ein Dilemma dieses umfangreichen und wagemütigen Projekts „bauhaus imaginista“. Denn von der Meistererzählung rückten die Kuratoren das Bauhaus zu einem Kompendium der tausend Geschichten. Keiner will heute nur eine hoheitliche Geschichte über eine so weitreichende Institution wie das Bauhaus erzählt bekommen, aber vielleicht eine starke Interpretation von ihr, vor allem um sich an ihr zu reiben.

„Bauhaus imaginista“, HKW Berlin, bis 10. Juni

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