: DieletztenleerenRäume
Das Konzept Zwischennutzung hat viel zu dem beigetragen, was Berlin heute ausmacht. Doch nun, da die Stadt wächst und gedeiht, will sie keiner mehr. Ein Plädoyer für den Erhalt des Teufelsbergs als Mahnmal für eine gescheiterte Stadtpolitik
Von Susanne Messmer
Berlin war die Stadt der Leerräume, der Zwischennutzer. Nach einer Studie des Bundesamts für Bauwesen befanden sich noch 2008 fast ein Drittel aller Zwischennutzungsprojekte dieses Landes in Berlin. Das lag vor allem an der Stadtentwicklung nach 1989: In Ostberlin mussten viele verstaatlichten Immobilien an Vorbesitzer zurückgegeben werden, die erst einmal langwierig zu ermitteln waren. Hinzu kam aber der krachende Niedergang der Industrie, den andere – wie das Ruhrgebiet – schon längst hinter sich hatten. Westberlin verlor schlagartig seine Industrie, weil die staatliche Berlin-Förderung wegbrach. Im Ostteil war zu DDR-Zeiten mit derart veralteter Technik produziert worden, dass nun die Betriebsschließungen folgten.
Als die Bundesregierung Anfang der 1990er Jahre beschloss, dass Berlin wieder Hauptstadt werden sollte, erwarteten trotzdem viele, dass sich demnächst große Unternehmen in der Stadt ansiedeln würden. Man dachte, Berlin würde in kürzester Zeit wieder fünf oder mehr Millionen Einwohner haben. Es kam zu einem Immobilienboom, der viele Investoren und Projektentwickler in die Stadt lockte. Die Politik sprach genau von der Verdichtung, Stadterweiterung und den neuen Entwicklungsgebieten, die erst heute – mehr als 20 Jahre später –, handfeste Wirklichkeit geworden sind. Doch Wachstum und Nachfrage ließen auf sich warten, die Einwohnerzahl Berlins ging sogar zurück.
Mitte der 1990erJahre brach der Immobilienmarkt in sich zusammen, viele Planungen scheiterten. Die Steuereinnahmen sanken und Berlin rutschte immer tiefer in die Schulden: von 5,7 Milliarden im Jahr 1989 auf 38 Milliarden im Jahr 2001. Der Liegenschaftsfonds wurde gegründet, damit möglichst viele landeseigene Immobilien verkauft werden konnten, die die Stadt heute gern zurück hätte, sich aber oft auch wegen Hypotheken von gescheiterten Planern, die auf ihnen lasten, noch immer nicht leisten kann. Stadt und Eigentümer sahen es gern, dass Leeres durch Zwischennutzer bespielt wurde. Mit deren Hilfe konnte man wenigstens die Immobilien vor Vermüllung und Vandalismus schützen.
Aus heutiger Perspektive klingt diese Erzählung wie ein Märchen aus ferner Zeit. Wer allerdings die Geschichte und Gegenwart des Teufelsbergs erzählen will (Seite 44 und 45), der muss sie sich trotzdem noch einmal in Erinnerung rufen. Berlin hat den Teufelsberg 1996 verkauft. Die Baupläne der Investoren scheiterten, sie gingen fast pleite. Seither verrottet der Berg mit seinen Gebäuden – und nur den Künstlern und Kreativen vor Ort ist es zu verdanken, dass noch nicht alles in sich zusammengestürzt ist, dass er gerade deshalb wieder so beliebt geworden ist, weil er mit seinen Graffitis so „rotten“ wirkt wie in den 1990er Jahren das Tacheles.
Zauberwort Gentrifizierung: Das Flächenangebot für Zwischennutzungen sinkt. Verzeichnet der Umweltatlas der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung 2010 noch 3.200 Hektar Brachfläche, sind es 2016 nur noch 2.173. Der Raum für Kreative und Nonkonformisten, für ehrenamtliche und subkulturelle Zwischennutzer, die selten feste Verträge und große Aussicht auf Verstetigung ihrer Projekte hatten: Er wird knapper. Die Kommunikationsagentur Platoon, die eine Brache am Senefelder Platz mit Frachtcontainern bespielte, der Club Maria am Ostbahnhof, zuletzt in einer ehemaligen Industriehalle an der Schillingbrücke, der Skulpturenpark Berlin_Zentrum, der Club der Republik in der Willner-Brauerei: Sie alle sind Geschichte; die Liste ließe sich schier endlos fortsetzen.
Die Zwischennutzer haben in schweren Zeiten viel zum Erhalt und zur Aufwertung dieser Stadt beigetragen. Nun, da sie endlich wächst und gedeiht und die Preise für Immobilien auf absehbare Zeit nicht aufhören werden, durch die Decke zu gehen, will sie plötzlich niemand mehr.
Es scheint, dass sich Teile der Berliner Politik wünschen, der Schuttberg Teufelsberg mit seiner Abhörstation würde ein Erinnerungsort für den Zweiten Weltkrieg und den Kalten Krieg. Viel toller wäre es, wenn man ihn lassen würde, wie er ist: als Mahnmal für eine gescheiterte Stadtpolitik.
Eine Art Zauberberg: Über Wolfgang Liebchen und den Teufelsberg Seite 44, 45
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen