Erzählband „Der Trost runder Dinge“: Das Unbehagen lindern
Empfindliche Figuren in schwierigen Zuständen: Clemens J. Setz' Geschichten in „Der Trost runder Dinge“ kippen zärtlich ins Wahrhaftige.
Ein alter Drucker, den Anforderungen der Zeit nicht gewachsen, von jüngeren, leistungsfähigeren Geräten umgeben. Trotzdem druckt er noch, versucht es zumindest, Zeile für Zeile, mit pflichtbewusster Genauigkeit, doch die Blätter bleiben weiß, er kann seinen Auftrag nicht erfüllen, schiebt das Papier in seinem Inneren sinnlos hin und her, bis es unbedruckt auf den Boden fällt.
Oder ein defekter Getränkeautomat, dessen Greifarm ins Leere greift. Oder ein Monitor im Sicherheitsbereich eines Flughafens, der eine Fehlermeldung anzeigt und so „inmitten all der undurchsichtigen Sicherheitsvorgänge so etwas wie eine warme und vertrauenswürdige Menschlichkeit“ ausstrahlt.
Der Drucker, der Getränkeautomat und der Monitor spielen allenfalls marginale Rollen in Clemens J. Setz’ neuem Erzählband „Der Trost runder Dinge“. Ihre Einbindung ist aber natürlich kein Zufall. Die Geräte funktionieren nicht, die Menschen funktionieren nicht. Es ist Sand im Getriebe, Ungeziefer kriechen durch die Software, Automatismen laufen ins Nichts. So wie der Drucker nicht druckt, sind Setz’ Menschen nicht in der Lage zu leben. Sie überleben schon, sie kriegen die Tage rum, und auch die Nächte halten sie aus, aber die Programme, die hinter ihren Stirnen unablässig laufen, sind fehlerhaft geschrieben, die Quellcodes müssten korrigiert werden.
In „Geteiltes Leid“, vielleicht der eindrucksvollsten der 20 neuen Erzählungen, schreibt der 36-jährige Österreicher über den alleinerziehenden Vater Zweigl, der von allumfassenden Angstzuständen gequält wird. Er findet aus dem Teufelskreis der Selbstbeobachtung nicht heraus, tigert nachts durch seine Wohnung, muss sich mit jeder vergehenden Minute davon abhalten, seine Söhne zu wecken, um ihnen von der Folter zu erzählen, die er durchmacht. Könnte er ihnen sein Leid doch nur verständlich machen! Dann würden sie anerkennen, wie sehr er sich beherrschte, die ganze Zeit.
Manchmal enden die Geschichten, als sie Fahrt aufnehmen
Aber es ist aussichtslos, er weiß es ja, wie soll es denn gehen. Also ein Understatement: „Ich hab wieder ein bissl die Angst.“ Er blüht erst auf, als der ältere Sohn die ihm so vertrauten Symptome zeigt. Er tröstet sein Kind während dessen erster Panikattacke, ist fürsorglich und liebevoll und ganz in seinem Element und fürchterlich erleichtert, nicht mehr allein zu sein.
Tanja Maljartschuk: „Blauwal der Erinnerung“. Aus dem Ukrainischen von Maria Weissenböck. Kiepenheuer & Witsch, Köln 2019. 285 Seiten, 22 Euro.
Die meisten der hier zusammengetragenen Erzählungen sind high-concept, spielen originelle Prämissen durch, die sich in einem Satz zusammenfassen lassen: Eine Frau engagiert einen Prostituierten, um im Krankenzimmer ihres komatösen Sohnes mit ihm zu schlafen. Die Wohnung einer blinden Frau ist über und über mit Obszönitäten beschmiert.
Eine Schulkrankenschwester nimmt nach ihrer plötzlichen Entlassung einen Zweitklässler mit nach Hause. Nicht immer nutzt Setz das Potenzial seiner Ausgangsideen, manchmal enden die Geschichten gerade, als sie Fahrt aufnehmen, und das kann man wohlwollend als formales Charakteristikum der Shortstory deuten, aber eben auch als Ausweichmanöver.
Setz, der schon mehrfach für den Deutschen Buchpreis nominiert war, zuletzt für seinen tausendseitigen Roman „Die Stunde zwischen Frau und Gitarre“ von 2015, schreibt nah an seinen Figuren, nicht selten gleich in der ersten Person, zeigt ihre verqueren Wahrnehmungswelten mit schrägen Vergleichen und Bildern. Der zügellosen Vergleichsfreude seiner Beschreibungen stellt er die in Alltagssprache gehaltenen Dialoge gegenüber.
Setz macht sich nie lustig
Manchmal kippen seine Erzählungen ganz plötzlich ins Traumlogische oder verwandeln sich nach einem beiläufigen Twist von einem harmlosen Stück in eine quasidystopische Schauergeschichte.
Das Wahnhafte seiner Figuren kommt mitunter ganz unerwartet zum Vorschein. Gerade glaubt man, es zur Abwechslung einmal mit einem recht ausgeglichenen Zeitgenossen zu tun zu haben, da platziert Setz einen Satz wie „Weberknechte schmecken nach nichts, vielleicht ein klein wenig nach Mandeln.“
Geradezu zärtlich widmet er sich seinen empfindlichen, meist männlichen Figuren. Er zeigt sie zwar in unwürdigen Zuständen und scheint sich an der Absurdität ihrer Wahnhaftigkeit durchaus erfreuen zu können, er macht sich aber nie über sie lustig oder nutzt ihre Irrationalität für billige Späße.
Der titelgebende Trost runder Dinge verweist übrigens auf eine Strategie des Vaters Zweigl, mit seiner Angst umzugehen. Auberginen und Tomaten, die meisten Obstsorten, runde Sachen überhaupt, lindern sein Unbehagen. Nur ein bisschen, natürlich, und nicht dauerhaft. Aber mehr kann man von runden Dingen, wie ja auch ein Buch eines sein kann, nicht erwarten.
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