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Der Mensch als Monster

Christian von Treskow inszeniert in Osnabrück Wajdi Mouawads „Verbrennungen“: ein beklemmend schonungsloser Abend über Traumata und Tod

Das albtraumhafte Bühnenbild fesselt bis zum Schluss: Jeanne (Katharina Kessler) auf der Suche nach ihrer Vergangenheit Foto: Kerstin Schomburg

Von Harff-Peter Schönherr

Ein Plastikvorhang, milchig steril, wie vor einer Leichenhalle, der Zerlegestraße eines Schlachthofs oder einem Tatort. Dahinter, schemenhaft, eine gewaltige Flammenwand. Ein Auftakt mit visueller Wucht, der keinen Zweifel lässt: Hier wird es um Tragik, um Traumata, um den Tod gehen.

Sandra Lindes albtraumhaftes, oft silhouettenhartes Bühnenbild für Christian von Treskows Osnabrücker Inszenierung von Wajdis Mouawads Stück „Verbrennungen“, das der kanadische Autor auf der Grundlage der Autobiografie der libanesischen Kommunistin Souha Bechara geschrieben hat, fesselt auf den ersten Blick. Und es fesselt bis zum Schluss, gibt dem Abend Struktur und eine beklemmende appelative Kraft.

Trümmerbrocken bedecken den Boden, Folterzellen und Bunkerblöcke fahren empor, die Stationswache einer Psychiatrie und der Zeugenstand eines Gerichts senken sich herab, von Geschossen zersiebte Fassaden und zusammengebombte Straßenzüge füllen die Tiefe des Raums, öde Wüstentäler, mündungsfeuerdurchzuckte Nachthimmel. Minimalistisch ist all das, symbolistisch, surreal – und abstrahierend selbst da, wo der Schauder fast dokumentarisch ist.

Christian von Treskows Regie fordert den Darstellern dazu tiefe Emotionen und kämpferische Gesellschaftskritik ab. Schnelle, fast filmische Schnitte collagiert sie. Zeit-, Schauplatz- und Erzählebenen verwebt sie zu verstörenden Gespinsten. Nicht alle Sprengfallen der überdrechselten Handlung und überladenen Dialoge kann von Treskow entschärfen. Wajdi Mouawads sperriger Text, so ethisch wertvoll er ist, macht es ihm nicht leicht. Komödiantik und Pathos verschränken sich, Alltagsslang und Heroenklassik, und nicht immer wirkt das wie gewollte Überspitzung, Verfremdung.

Da ist die Mutter, Nawal, die ihre Kinder, Jeanne und Simon, auf eine Suche nach ihrer Herkunft schickt, in den Libanon, dessen Bürgerkriegsgrauen sie einst mit Stummheit schlug. Es ist ein Nahost, das zugleich ein Sinnbild ist – es geht um Machtmissbrauch und seelische Wunden, um existenzielle Qual und ideologische Verblendung. Das Programmheft, das seitenlang Fakten referiert, von Sunniten bis PLO, von Maroniten bis Hisbollah, lebt so ein seltsames Eigenleben. Denn das Bühnengeschehen hat mit alldem nicht viel zu tun.

Der Mensch, zeigt uns Mouawad, wird dem Menschen zum Monster, wenn er nicht „seine Ketten sprengt“, nicht gegen das vermeintlich Schicksalhafte von Elend und Hass aufbegehrt, seine Stimme erhebt. Verbrennungen? Jeder hier erleidet sie. Die Bühne ist eine Versuchsanordnung. Und niemand ist unter uns, der nicht auf ihr steht.

Ein schonungsloser Abend großer Schauwerte, mit einer starken Denise Matthey als junge Nawal und einem starken Ronald Funke, der seinen vier Nebenrollen so sensibel Gewicht verleiht, dass sie nachhaltig in Erinnerung bleiben.

Aber die zweieinhalb Stunden, die „Verbrennungen“ dauert, sind überdehnt. Und es gibt Szenen, die hätte von Treskow besser gestrichen. Christina Doms unausgesetztes Kettenrauchen etwa, als alte Nawal. Juliane Böttger, die als Kriegsreporterin wirkt wie eine Schulpraktikantin am ersten Arbeitstag. Janosch Schulte, der als Sniper so unglaubwürdig agiert, dass selbst der hohe Abstraktionsgrad des Geschehens dafür keine Erklärung bietet: Fettes Zielfernrohr für Distanzschüsse, aber eine winzige Kompaktkamera zum Dokumentieren der Kills? Seltsam …

Opfer sind Täter, lernen wir, und Täter sind Opfer. Das mag schwer erträglich sein. Aber das Leben besteht eben nicht nur aus Schwarz und Weiß. Auch wenn Sandra Lindes Bühnenbild es zuweilen suggeriert.

So, 3. 3., Theater am Domhof, Osnabrück. Weitere Termine: 24,. 26,. 27. 3.

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