piwik no script img

Lübeck entnazifiziert sich. Ein bisschen

Nach langer Diskussion benennt Lübeck einen Platz und zwei Straßen um: Weder Hindenburg noch zwei ausgewiesene Nazis sollen als Namenspatrone geehrt werden. Doch die ursprüngliche Liste belasteter Namensgeber war deutlich länger

Foto: Ade Ehrenbürgerschaft, ade Platzherrschaft: Es hat sich ausgeneralfeldmarschallt in Lübeck Foto: Friederike Grabitz

Von Friederike Grabitz

„Versicherungen – seit 1925“ steht auf dem Schild vor dem altrosa Jugendstilhaus nördlich der Lübecker Altstadt. Im Jahr 1925 hieß der Platz mit den gestutzten Bäumen, an dem die Villa liegt, noch „Platz der Republik“. Acht Jahre später ernannte Generalfeldmarschall und Reichspräsident Paul von Hindenburg Hitler zum Reichskanzler, und die Nationalsozialisten bedankten sich, indem sie noch im gleichen Jahr ihren Republikplatz umbenannten in „Hindenburgplatz“.

Bald wird das Versicherungsbüro seinen Briefkopf noch einmal ändern müssen. Die Lübecker Bürgerschaft hat gerade beschlossen, dass der Hindenburgplatz anders heißen soll. Auch der Lenardweg, benannt nach dem Physik-Nobelpreisträger Philipp Lenard, und die nach dem Komponisten Hans Erich Pfitzner benannte Pfitznerstraße sollen umbenannt werden. Die beiden Namenspatrone waren stramme Nazis und Antisemiten. Lenard wollte als Begründer einer nationalsozialistischen Physik in die Geschichte eingehen, von Pfitzner ist überliefert, dass er noch 1947 gesagt haben soll, Hitler habe „nicht genug Juden vergast“. Die beiden Straßen wurden in Lübeck in den 60er Jahren benannt, nach der Vergangenheit ihrer Namensgeber hat niemand gefragt.

Mit gutem Marketingzum Popstar

Die Namen von Straßen und Plätzen schreiben Geschichte in die Topografie einer Stadt ein. Sie sagen viel darüber aus, wie die Stadtoberen sich zu ihrer Zeit verhalten – und über ihre Geschichtsauffassung. Das ist auch eine Kulturfrage. In vielen hispanischen Ländern hat jede Stadt einen „Platz der Republik“, in Deutschland sind es gerade einmal 40, und die Demokratie ist 14-mal verewigt. Deutschland bevorzugt den Personenkult: An Goethe erinnern 2.427 Straßen und Plätze, an Rosa Luxemburg 261, die meisten in der ehemaligen DDR. Hindenburg wird mit 439 Plätzen und Straßen geehrt, das sind viele für einen Politiker. „Hindenburg hat erfolgreich an seinem Mythos und seiner Eigenvermarktung gearbeitet. Er ist so in seiner Zeit zu einem Popstar aufgestiegen“, sagt der Leiter des Lübecker Stadtarchivs Jan Lokers. Weil er auch bei der Zersetzung der Weimarer Republik eine aktive Rolle gespielt hatte, sehen viele Städte und Gemeinden diesen Mythos heute kritisch.

So setzen sich im Kieler Landtag die Abgeordneten Martin Habersaat (SPD) und Andreas Tietze (Grüne) dafür ein, den Hindenburgdamm, die einzige Landverbindung zwischen dem nordfriesischen Festland und der Insel Sylt, umzubenennen. „Hindenburg gehörte zu denen, die die Demokratie auf dem Gewissen haben“, sagt Habersaat. Schon in der Vergangenheit wurde diskutiert, ob der Wall künftig „Friesland-Damm“ oder „Sylt-Damm“ heißen könnte.

Auch Turnvater Jahn auf der schwarzen Liste

Trotzdem war die Umbenennung in Lübeck kein Selbstläufer. Sechs Jahre lang hat der „Arbeitskreis Straßennamen“ diskutiert. An einem sonnigen Nachmittag im September trafen sich die Vertreter der Verwaltung und Parteien im Lesesaal des Stadtarchivs dann zum letzten Mal und stritten darüber, was mit ihrer Liste geschehen sollte. Die hatten sie bei den Stadthistorikern in Auftrag gegeben, die alle knapp 1.700 Straßen auf belastete Namen geprüft hatten. Sie konzentrierten sich dabei auf das späte 19. und 20. Jahrhundert, auch aus Pragmatismus: Fast immer gibt es gegen Umbenennungen Widerstand von Anwohnern. Außerdem ist es schwierig, zeitliche und ethische Grenzen zu ziehen. „Die Frage ist: Wo hört man auf? Der Römerkaiser Augustus hat auch viele Leute gemetzelt“, sagt der Grünen-Politiker und Historiker André Kleyer. „Erinnerungskultur ist für mich besonders wichtig in Bezug auf die NS-Zeit, damit so etwas nie wiederkommt“. Am Ende standen 14 belastete Namen auf der Liste, darunter neben Militärs und Politikern der Turnvater Jahn und der Koloniegründer Adolf Lüderitz. Lenard, Pfitzner und Hindenburg waren als besonders kritisch gemarkert.Die Politiker gingen noch einmal durch, worüber sie all die Jahre nachgedacht hatten: Ist es in Ordnung, belastete Namen auch gegen den Willen einiger Bürger zu ändern? Ist es wichtig? Ohne eine Einigung spielte der Arbeitskreis den Ball am Ende zurück in die Bürgerschaft, von dem sie ihn 2013 bekommen hatte.

Die Stimmung in der Stadt war da eher gegen eine Umbenennung. Der Linken-Vorsitzende Ragnar Lüttke ging unzufrieden von der Sitzung nach Hause. Er schrieb einen Bürgerschaftsantrag, in dem er die Umbenennung aller 14 Straßen auf der Liste beantragte. Wegen der Haushaltsdebatten dauerte es dann noch einmal viereinhalb Monate, bis über den Antrag abgestimmt wurde.

„Hindenburg hat erfolgreich an seinem Mythos und seiner Eigenvermarktung gearbeitet. Er ist so in seiner Zeit zu einem Popstar aufgestiegen“

Jan Lokers, Leiter des Lübecker Stadtarchivs

Die chaotischste Sitzung der bisherigen Legislatur

Im letzten Januar behandelte die Bürgerschaft das Thema, und es wurde ihre chaotischste Sitzung in der bisherigen Legislatur. Über drei Stunden lang diskutierten die Parteien über das Thema, die SPD stellte einen eigenen Antrag, die Grünen, die sich zuerst gegen eine Umbenennung ausgesprochen hatten, schwenkten überraschend um. Am Ende stand der Beschluss, die drei am stärksten belasteten Namen zu ersetzen. Wie die Straßen heißen werden, wird nun der Bauausschuss entscheiden. Außerdem wurde Hindenburg die Ehrenbürgerschaft aberkannt, und die Anwohner sollen für ihre Kosten entschädigt werden.

Im Kern geht es um die Frage, wie wichtig Namen sind und was sie bedeuten. Die Grünen hatten argumentiert, dass sie „eine Erinnerungskultur, keine Verdrängungskultur“ wollten, und sich dafür ausgesprochen, statt neuer Namen kritische Hinweisschilder anzubringen. Die wird es nun zusätzlich geben.

Doch das Argument der Geschichtsglättung ist schwierig: Wären Lenard und Pfitzner so bekannt wie Hitler und Göring, würde es kaum ziehen und diese Straßen wären längst umbenannt worden. Zumal es an anderer Stelle weiße Flecken im öffentlichen Gedächtnis gibt: Kein Platz in ganz Norddeutschland erinnert etwa an die 1848er-Revolution, an den Matrosenaufstand oder den Mauerfall. Ortsnamen werden hierzulande vor allem als Ehrengedenken vergeben. Deshalb sollte die Frage vor allem lauten, ob denen, die Ehre bekommen, noch Ehre gebührt.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen