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Die Axt an der Wurzel des Übels

„Frauen Über-Frauen“ heißt eine Ausstellung mit sechs Künstlerinnen, die die Galerie Deschler zum Frauentag konzipiert hat

Deborah Sengl, Bild Nummer vier aus der Serie „Schleier-Haft“ Foto: Galerie Deschler

Von Katrin Bettina Müller

Die Schriftstellerin Hedwig Dohm, die im Juni vor 100 Jahren starb, ist als eine frühe Frauenrechtlerin und feministische Theoretikerin in die Geschichte eingegangen. Allerdings ist dies eine Zuordnung im Sprachgebrauch der Gegenwart. Für sie hatte das Wort „Frauenrechtlerin“ noch den abwertenden Klang ihrer Gegner. Sie bevorzugte das Wort „Radicale“ und schrieb dazu: „Radical heißt verwurzelt und bezeichnet am besten das Wollen und Handeln jener streitbaren Frauen, die die Axt an die Wurzel der Übel legen.“

Von diesem Zitat von Hedwig Dohm ist der Titel „Radicale“, einer Arbeit der österreichischen Künstlerin Lies Maculan, inspiriert, die gut zur über 100-jährigen Geschichte des Frauentages am 8. März passt. Maculan nutzt fotografische Mittel, um geschichtliche Zeugnisse zu zitieren. In diesem Fall hat sie zwölf aufgeschlagene Bücher als Motiv gewählt, in denen Frauen über Frauen geschrieben haben, die sich in der Kunst oder Politik auf den Weg der Emanzipation begaben: darunter Adelheid Popp, proletarische Kämpferin, Hedwig Dohm, Helene Lange, aber auch Künstlerinnen wie die exzentrische Hermione von Preuschen, Lina Loos oder die Modemacherin Coco Chanel. Ein paar Namen kennt man, andere eher nicht. Oft begleitet das Vergessen-Werden die Geschichte der meist einsamen Kämpferinnen.

Die Fotografie ist flach. Lies Maculan aber präsentiert sie in den Konturen des fotografierten Gegenstandes und platziert sie mit Abstand von der Wand. Das verleiht dem abgebildeten Ding eine erstaunliche und täuschende Plastizität. So erzeugt die Künstlerin Nähe zu etwas, von dem man doch zugleich weiß, es ist nicht da. Und stellt so eine visuelle und haptische Analogie zur Erinnerung her, zur Bewegung gegen das Vergessen.

Mit „Radicale“ nimmt Maculan an der Ausstellung „Frauen Über-Frauen“ teil, die in der Galerie Deschler in der Auguststraße in Berlin-Mitte zum Weltfrauentag konzipiert wurde. Aus diesem Anlass Künstlerinnen zu zeigen, ist so naheliegend, dass Kathleen Sichelschmidt, Leiterin der Galerie, auch einen Moment zögerte. Sind Künstlerinnen, die bei Deschler oft ausgestellt werden, nicht präsent genug, braucht es das Pushen durch einen Frauentag, der nun in Berlin auch noch zum Feiertag wurde? Die Bedenken blieben schließlich außen vor, fanden sich doch bei allen sechs beteiligten Künstlerinnen überzeugende Arbeiten, in denen sie ihre Existenz als Frau und Künstlerin reflektieren, mit besonders den Frauen zugeschriebenen Materialien arbeiten oder die gesellschaftliche Rolle der Frau reflektieren.

Letztes Jahr wies eine Studie des Instituts für Strategieentwicklung (IFSE) nach, dass Künstlerinnen in Berlin durchschnittlich 28 Prozent weniger verdienen als Künstler und weniger Einzelausstellungen haben. Als Elvira Bach, geboren 1951, in den 1980ern mit den Jungen Wilden bekannt wurde, sah es noch schlechter mit der Präsenz von Künstlerinnen aus. Viele von ihnen halfen sich in Vereinen, Projektgruppen, Ausstellungen in den Nischen Westberlins. Elvira Bach war dort präsent, aber auch auf der Documenta in Kassel 1982 oder im Guggenheim Museum in New York 1988 in einer Ausstellung über die Rückkehr des Figürlichen in der deutschen Malerei. Mit ihrem Stil plakativer, expressiver, emotional zugänglicher Selbstporträts ist sie bis heute gut wiedererkennbar. Sie zeigt sich bei Deschler als „Küchendiva“ mit Pinsel, Kind, Katze und einem Stapel Geschirr oder von den eigenen Haaren wie von einer Schlange umringelt. Zwischen vielen Künstlerinnen ihrer Generation gehört sie zu den wenigen kontinuierlich am Markt Erfolgreichen.

Braucht es das Pushen von Künstlerinnen durch einen Frauentag?

Die Kunsttauglichkeit des Naheliegenden und Alltäglichen auszuprobieren, das nutzen zwar nicht nur Künstlerinnen, aber ihnen wird das als weibliche Strategie ausgelegt. Für die japanische Künstlerin Yukiko Terada ist Kleidung ein „Medium zwischen Körper und Gesellschaft“. Sie wählt gebrauchte Stoffe, arbeitet ohne Maschinen mit der Hand, um mit Material und Werk Zeit zu verbringen, sich gegen schnellen Verbrauch und Konsum zu stemmen. Das sind symbolische Gesten, gewiss, die zu zarten Arbeiten führen, wie genähten Äpfeln und dem dafür zerschnittenen Laken.

Zart und sinnlich ist auch die Installation der holländischen Künsterlin Seet van Hout. In Stickereien, die auf der Wand wie ein Rankenwerk angebracht werden, zitiert sie florale und anatomische Strukturen und alte Porträts von Frauen aus der Malerei. Haartrachten, Kopfschmuck, Zeichnungen des Gehirns und Wurzelwerk gehen ineinander über.

Seet van Hout taucht damit tief in die Geschichte der Repräsentation von Frauen, der ihnen zugewiesenen Künste, aber auch der ihnen lange vorenthaltenen wissenschaftlichen Studien. Das ergibt eine anregende Melange, ähnlich wie in den jüngsten Filmen über Queen Ann („The Favourite“) oder „Maria Stuart“, um sich ein geheimes Leben der Frauen farbenprächtig auszumalen und ihnen wenigstens in der Fiktion zuzugestehen, was die Geschichtsschreibung ihnen genommen hat.

Galerie Deschler, Auguststr. 61, Di.–Sa. 11–16 Uhr, bis 13. April

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