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hörbuchIm Rausch, aber nie lächerlich

Schon mehrfach hat der Schriftsteller T. C. Boyle Leben und Werk bedeutender Männer der US-amerikanischen Gesellschaft als Grundlage für seine Romane genutzt – etwa den Architekten Frank Lloyd Wright, den Sexualforscher Alfred Kinsey oder den Ernährungsguru William Kellogg. Mit psychologischen Experimenten („Die Terranauten“), der Hippie-Bewegung und Drogenkonsum („Drop City“) hat er sich auch schon beschäftigt. In seinem neuen Roman, „Das Licht“, – der im T.-C.-Boyle-verrückten Deutschland mehrere Wochen früher als im englischsprachigen Raum erschienen ist und die Bestsellerlisten anführt – nimmt er sich Timothy Leary und die LSD-Experimente vor, die der Psychologie-Professor in den frühen 1960er Jahren in Harvard, nach seiner Entlassung erst in Mexiko und dann in der Hippie-Kommune Millbrook durchgeführt hat.

Und wieder hat Boyle akribisch recherchiert. Die Fülle des angehäuften technischen Wissens gibt er weiter, indem er kundigen Figuren den Uneingeweihten die Materie erklären lässt. Poetisch ist das nicht, aber informative Unterhaltung. „Das Licht“ ist mit einem Vorspann versehen, in dem Boyle das Versuchslabor Dr. Hofmanns in Basel wiedereröffnet, in dem der Chemiker 1943 im Versuchslabor von Sandoz als Erster LSD hergestellt und seine bewusstseinserweiternde Wirkung an sich selbst erprobt hatte. Ein Zeitsprung ins Jahr 1962 führt nach Harvard, als Learys LSD-Forschung noch rein medizinisch war und die Möglichkeiten der Behandlung psychischer Erkrankungen ausloten sollte. Ein nüchtern operierender Erzähler nimmt erst die Perspektive von Learys Doktorand Fitz ein, der sich von seiner unterwürfigen Gefolgschaft bessere Karrierechancen erhofft, später auch von dessen Ehefrau Joanie, die ebenfalls anfangs begeistert die „Sessions“ besucht und sich, als ihr halbwüchsiger Sohn anfängt, mit psychedelischen Drogen zu hantieren, nicht nur von Leary abwendet.

Der Schauspieler Florian Lukas verleiht den Figuren weniger durch Stimmmodulation Persönlichkeit, sondern versieht die Pro­ta­gonist*innen und den Erzähler jeweils mit einem charakteristischen Sprachduktus. Learys Passagen spricht er betont sonnig und entspannt, macht so dessen Charisma greifbar. Und dessen über alle Kritik erhabenes Selbstbewusstsein. Cory, den 13-jährigen Sohn von Fitz und Joanie, spricht er leicht abgehetzt, macht den begrenzten Horizont des Teenagers deutlich. Einer Französin gibt Lukas einen dezenten Akzent, der nie aufgesetzt wirkt, und den Schwachsinn, den einige Figuren im Rausch von sich geben, zieht er nie ins Lächerliche.

Sein Erzähler bleibt sachlich, damit fügt er sich lautlos in das von Boyle vorgegebene Gefüge: Boyle kennt sich mit Drogen aus, seine Erfahrungen mit LSD waren laut eigener Aussage eher negativ, entsprechend sind die Beschreibungen der Trips glaubwürdig und in ihrer fast schon knöchernen Sachlichkeit alles andere als schwärmerisch – was in der Lesung noch mehr auffällt als beim stillen Lesen.

T. C. Boyle kennt sich mit Drogen aus, seine Erfahrungen mit LSD sind eher negativ, die Beschreibungen der Trips glaubwürdig

Die Figuren machen in Lukas’ Vortrag eine Entwicklung durch. Als die klinische Forschung zugunsten bewusstseinserweiternder Selbstfindungstrips und der Forderung von gesellschaftlichen Zwängen losgelöstem Leben, freie Liebe inklusive, in den Hintergrund tritt und sich Unmut regt, macht Lukas das nachvollziehbar hörbar. Fitz heißt die Entwicklung des wissenschaftlichen Vorhabens zum hedonistischen Partyprojekt nicht gut, und Lukas veranschaulicht das, indem er Fitz’ Stimme der anfänglichen bedingungslosen Bewunderung enervierte Kritik beimengt. Sylvia Prahl

T. C. Boyle: „Das Licht“. Leicht gekürzte Lesung mit Florian Lukas, 1 MP3-CD, Laufzeit 11 h 28 min, der Hörverlag 2019

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