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Rachefeldzug ohne Ziel

In Bremen bringt Nurkan Erpulat Fatih Akins NSU-Geschichte „Aus dem Nichts“ auf die Theaterbühne

Dem Stück fehlt die Konsequenz: Das Geschehen wird zugunsten einer Aktenschredderperformance abgebrochen Foto: Jörg Landsberg

Von Jan-Paul Koopmann

Von ihrem toten Kind kann Katja Şekerci keinen Abschied mehr nehmen. Neonazis haben den Sechsjährigen und seinen Vater Nuri mit einer Nagelbombe zerfetzt. „Da sind nur Leichenteile“, sagt ein Polizist und schüttet Katja schwungvoll einen Haufen Plunder vor die Füße: Knallbuntes Plastikpielzeug aus einem Pappkarton – symbolische Überreste eines Kinder- und Elternlebens, die mehr schmerzen als irgendein blutiges Splatterrequisit.

„Aus dem Nichts“ spielt auf einer kargen, schwarzen Bühne, die unaufhaltsam eingeschneit wird von Papierschnipseln aus Aktenvernichtern unter der Decke. Natürlich handelt das Stück vom NSU, von der Bombe, die am 9. Juni 2004 in der Kölner Keupstraße explodierte. Die Witwe Katja Şekerci ist zwar fiktiv, die Ermittlungspannen sind es nicht. Nur werden die Terroristen in „Aus dem Nichts“ freigesprochen, woraufhin Şekerci selbst Rache nimmt.

Als Fatih Akins Film 2017 in die Kinos kam, lief der NSU-Prozess noch auf Hochtouren. Und so schnell Armin Petras’Bühnenfassung es auch zur Uraufführung gebracht haben mag, ist seitdem eine Menge passiert. Fragen bleiben offen – Selbstjustiz gehört nicht mehr dazu.

So verhallt das herausragende Spiel weiter Teile der Besetzung ohne Resonanzraum. Und das ist schade. Nadine Geyersbach vermag es etwa, Katja Şekercis Verlust aufs Eindringlichste zu spielen und dabei noch Energie vorzuhalten für die nächste Katastrophe. Unerwartet heftig folgt auf den Freispruch der zweite, diesmal totale Zusammenbruch. Auch Martin Baum macht seine Sache gut als Polizist, schafft es, latenten Alltagsrassismus und fast liebenswürdige Trotteligkeit zusammenzuspielen. Ähnliche Zwischentöne trifft auch Irene Kleinschmidt, die in ihrer Doppelrolle aus Katjas Mutter und Anwältin den Druck noch weiter erhöht – und es damit eigentlich nur gut meint. So sieht die Banalität des Bösen heute aus: Der deutsche Staat ist ein abstraktes Monstrum, sein Personal hingegen irgendwie auch nur menschlich.

Der Regiearbeit von Nurkan Erpulat ist anzumerken, dass er dem Racheplot heute nicht mehr über den Weg traut. Die Inszenierung arbeitet sich eher allgemein an der Ohnmachtserfahrung ab und bricht das Geschehen ab in einer Aktenschredderperformance zu traurig-schöner Musik. Auch die Inhalte des Gerichtsverfahrens verschwimmen angesichts eines gigantischen Papierklotzes, der nach völlig intransparenten Bewegungsgesetzen über die Bühne bugsiert wird. Als Szene funktioniert das gut, doch um aus der Not verpasster Aktualität eine Tugend zu machen, fehlt es dem Verschleierungsthema letztlich doch an Konsequenz.

Nächste Aufführungen: 28. 2., 6./7. 3., Theater Bremen

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