: Flackernde Konsistenz
Das Andromeda Mega Express Orchestra ist eine eigenwillige Synthese aus Kammerensemble und Big Band. Am Mittwoch ist nun live zu erleben, wie es sich klanglich wieder einmal neu aufstellt
Von Stephanie Grimm
Wer das Andromeda Mega Express Orchestra (AMEO), dieses 18-köpfige Ensemble aus Berlin mit seiner ganz eigenen Mischung aus Jazz, Neuer Musik, Afro-Funk, Electronica, Progressive Rock und Popzitaten schon einmal live erlebt hat, hat den klanggewordenen Beweis: Traditionshuberei, Grabenkämpfe gar, zwischen purismusaffinen Gralshütern dieser oder jener Tradition sind voll von gestern.
Die wilden Überfrachtung mit Ideen, für die das AMEO steht – mal klingen sie nach Philharmonie, dann wieder nach weltmusikalisch inspiriertem Ekletizismus und zwischendurch sogar nach retrofuturistischem Sci-Fi-Soundtrack war zwar immer schon auch auf Tonträger interessant. Doch beim Zuhausehören musste man sich in die komplexe Kompositionen, die ungewöhnlichen Klangtexturen und Rhythmen erst einmal reinfinden.
Deutlich leichter ging das, wenn man den Erstkontakt mit diesem Projekt bei einem Livekonzert hatte, schlichtweg, weil sich das Besondere an dieser eigenwilligen Synthese aus Kammerensemble und Big Band viel besser erschließt, wenn man den Musikern mit einem Faible für Spezialinstrumente wie Melodica, Harfe und Blockflöte beim Musikmachen zugucken und dabei nachvollziehen kann, wie diese Musik entsteht. Dann machten auch die komplexen Alben gleich doppelt so viel Vergnügen.
Jetzt stellt sich das Ensemble jedoch klanglich neu auf. Weniger soll dabei mehr sein. Man könnte sie fast ambientartig nennen, die beiden reduzierten, weniger überladenen Tracks, die es vorab zu hören gab. Das Zustandhafte tragen sie schon im Namen: „Flamme“ heißt ein Stück, „Sky“ ein anderes. Ersteres klingt wirklich flackernd wie das titelgebende Feuer, zugleich konsistenter als frühere Arbeiten.
Als Ambient würde der Orchesterleiter, Komponist und Arrangeur Daniel Glatzel die aktuellen Soundexperimente allerdings nicht bezeichnen, mit dem Genre verbindet ihn nichts weiter. Und auch als Neuausrichtung will er sie nicht verstanden wissen. „Anflüge dessen, was wir jetzt vertieft haben, gab es schon früher. Jetzt habe ich das einfach zu Stücken ausgearbeitet – statt es bei einzelnen Momenten zu belassen. Dabei habe ich mich bewusst ganz einfacher Mittel bedient. Das Ziel war, flächiger zu klingen, mehr mit Klangfarben zu spielen“ – mit dem Resultat, dass in den neuen Stücken mehr improvisiert wird, obwohl sie reduzierter klingen. Wie das auf der Bühne funktioniert, probiert das Orchester dieses Jahr bei insgesamt drei Veranstaltungen in Berlin aus. Nächstes Jahr soll dann ein neues Album erscheinen.
Auch wenn es live schon immer diese eher ungeplanten Momente gab, zeichneten sich frühere Alben wie das wild eklektizitische „Bum Bum“ (2012) oder auch der melodischere Vorgänger „Vula“ (2017) doch vor allem durch eine komplexe Notation aus, die den Stücken zugrunde lag. Jetzt will Glatzerl nicht mehr alles festlegen, stattdessen soll von den Musikern im Zusammenspiel mehr ausprobiert werden. „Es geht darum, so etwas wie Schwarmintelligenz zu erzeugen.“
Entstanden war das Orchester Mitte der Nullerjahre, als der Saxofonist und Bassklarinettist Glatzel aus München an der Berliner Hochschule für Musik „Hanns Eisler“ kam und nach musikalischen Mitstreitern suchte. Die fand er in einem Freundeskreis, der an verschiedene Hochschulen studierte und in unterschiedlichsten Kontexten Musik machte. Für diese ungewöhnliche Besetzung gab es jedoch keine geschriebene Musik. So kam es dazu, dass Glatzel das Komponieren selbst übernommen hat. „Damals hatte ich definitiv nicht die Idee, ein Orchester ins Leben zu rufen.“
Heute, 13 Jahre später, trifft man sich etwa einmal im Monat. Glatzels Mitmusiker sind immer noch in sehr unterschiedlichen Kontexten aktiv. Dass sie eine Offenheit mitbringen, Neues auszuprobieren, bezeichnet er als zentral für die Mitarbeit bei AMEO. Ein bisschen Fluktuation gibt es zwar, doch die meisten sind schon lange dabei. Entsprechend gut kennt man sich. „Das ermöglicht ein freieres Arbeit“, so Glatzel – und somit eben auch die aktuellen Soundexperimente. Sowieso habe sich der Gemeinschaftsaspekt für ihn über die Jahre als ein wesentlicher Reiz bei der Weiterentwicklung des Orchester erwiesen.
Die Geschichte des AMEO ist also ähnlich organisch wie die Musik. Und auch jenseits des gemeinsamen Musizieren an sich hat sich einiges entwickelt: etwa die innovativen Konzertkonzepte, mit denen das AMEO immer wieder in Erscheinung tritt. Davon steht dieses Jahr im Rahmen der Reihe Neue Orchesterformen einiges an: nicht zuletzt die von ihnen veranstalteten Kosmostage, ein Festival, für das sich das AMEO auch Gäste einlädt wird, am ersten Dezemberwochenende zum dritten Mal (nach 2013 und 2015) stattfinden.
Dieses Jahr werden das unter anderem das Kölner Ensemble Musikfabrik und die koreanische Sängerin Park Minhee sein, die dem traditionellen Genre Gagok neue Facetten abgewinnt.
Zunächst steht aber die Premiere des neuen Sounds an, am kommenden Mittwoch im Neuköllner Heimathafen. Dort wird man in der Praxis erleben, wie der improvisationsträchtigere Ansatz auf der Bühne entsteht. Und Anfang September gibt es dann auch noch eine audiovisuelle Zusammenarbeit mit dem Medienkünstler Tim Novikov. Die, so wünscht es sich Glatzel, eine Art synästhetische Erfahrung sein soll. Das AMEO erfindet sich in diesem Jahr also irgendwie doch ein bisschen mehr als ein bisschen neu.
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