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So viel Kritik muss sein: Benno Schirrmeister über „Kleiner Mann – was nun?“ bei Mensch, Puppe!Hier wird nicht mitgefühlt

Oft gilt am Puppentheater als faszinierend, wie die Spielenden hinter den Figuren verschwinden und so deren Hölzernheit eine Geschmeidigkeit verleihen, als gäb’s – ein Hoffnungsschimmer – keine Gravitation. Auch scheint „Mensch, Puppe!“, der Name der Bühne in der Schildstraße, genau das zu versprechen. Claudia Spörri aber, ihre Prinzipalin, macht in der Adaption von „Kleiner Mann – was nun?“ das Gegenteil. In der Regie von Thomas Weber-Schallauer stellt sie Distanz her – sehr entschieden und ganz im Sinne der neusachlichen Prosa von Hans Falladas Roman.

Nimmt sich also den 20-Zentimeter-Johannes Pinneberg aus Draht und Stoff, den Anna Siegrot ihr gebaut hat. Knautscht ihn und bringt ihn in Position auf der schiefen Ebene, die sein Leben ist. Setzt ihn, Mondscheinidyll, mit Braut ins Puppenstubenglück, kurz. Stellt ihn zwischen zwei ihn weit überragende Brustbilder seiner Schwiegereltern Mörschel, stellt ihn hin vor den monströsen Vermieter, oder vor jene ungreifbaren Autoritäten, die als finstere Silhouette mit Hut am Bühnenrand erscheinen, der Kaufhausmanager, die Krankenversicherung, Kaufhausgeschäftsführer. Was nun?

Mit Cello, Loopgerät und Glockenspiel entwirft Lynda Cortis die späten 1920er-Jahre als eine veritable Klanglandschaft, in der aus einem Transistorradio Bach knarzt, eine Badeanstalt gluckert und eine Dampflokomotive stöhnt und kreischend und quietschend anhält. Spörri spricht, ins Publikum, im Vorlese- eher als im Rollenspiel­modus, den klug gekürzten Text, der die Figuren und die große unerschütterliche Liebe zwischen Johannes und seiner kämpferischen Frau Lämmchen so gefühlsarm betrachtet, wie ein Naturforscher die Bakterienkultur in der Petrischale: Hier wird nicht mitgelitten und eingefühlt.

Sentimental sein dürfen bloß die Chansons, die Spörri singt, und selbst das nicht ohne Tücke. So wird der Marie Kleinholz sanft-anachronistisch der Nazi-Schlager „Kann denn Liebe Sünde sein“ in den Mund gelegt: Seit Jahren schon versucht ja ihr Vater Emil sie gewaltsam zu verkuppeln. Und den Pinneberg hat er genau deshalb angestellt. Klar gibt’s den Rausschmiss, als auffliegt, dass der längst verheiratet und Lämmchen schwanger ist. Und weiter geht’s bergab. Und dass das Ende offen scheint, ist nur eine fromme Selbsttäuschung: Die Schwerkraft ist da unerbittlich.

Vorstellungen heute, 7. 2., 28. 2. und 7. 3., jeweils 20 Uhr, Schildstr. 21

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