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Die Teilchen im Gesamtkomplex

Ludwig Wüst setzt in seinen Filmen Fragmente aus seinem und dem Leben anderer in Beziehung. Das Arsenal widmet ihm eine kleine Werkschau

Eine mysteriös anmutende Ansammlung von Screentests, Videoaufnahmen und Eigenbeobachtungen: Luwig Wüsts „Heimatfilm“ Foto: Arsenal

Von Carolin Weidner

Da steht Ludwig Wüst in seiner Werkstatt und werkelt am Holz. Da schleppt er sich durch ein Haus und versucht sich mit verschiedenen Schlüsseln Zugang zu Zimmern zu verschaffen. Zimmer, in denen keiner mehr wohnt, die aber doch von einem Leben künden, das sich dort einmal abspielte. Ein Hochzeitsfoto vermittelt die siebziger Jahre: die Koteletten des Mannes machen sein Gesicht affenartig; die weite Hutkrempe der Braut erinnert an Faye Dunanway. Ludwig Wüst wird zum Bezeuger dieses Erbes, einem Teilchen im Gesamtkomplex, der für ihn Heimat bedeutet. „Heimatfilm“ lautet dann auch der Rahmen, in dem diese Teilchen schwingen und arbeiten und sich zu vielen weiteren verhalten.

Es ist der Film, den Ludwig Wüst vor „Aufbruch“ gedreht hat, der letztes Jahr während der Berlinale premierte und für viele ein wichtiges Erlebnis des Programms war. Für Wüst vielleicht die größte Aufmerksamkeit seit „Koma“ von 2009, über den es im österreichischen Radio damals noch die Einschätzung zu hören gab: „Wüsts erster Langfilm („Koma“) bricht so unvermittelt und unerwartet über einen herein, dass nicht wenigen Hochkulturrittern ihre Liebe zum heimischen Kino im Hals stecken zu bleiben droht.“

Ludwig Wüst stellt das klug an, mit der Versammlung von Fragmenten, die aus seinem Leben (oder dem von anderen) erzählen. Es ist ein Prinzip, das in seinen Filmen vorzufinden ist, aber auch in einer Haltung gegenüber dem Leben selbst: Wie man es sortiert, anordnet und in Zusammenhang bringt. Selbst auf der eigenen Website geht es Wüst um die Darstellung eines ganzen Gewebes, indem er das, was über ihn gesagt und geschrieben wurde, notiert und archiviert und so für jeden, den es intereressiert, zugänglich macht. Das Faszinierende dabei ist, dass trotz der Ballung an Information und Offenheit eine Menge verborgen bleibt. Wie bei einem, über den ständig Neues zu hören ist und der einem deswegen aber nicht fassbarer würde. Es bedarf auch eines gewissen Insiderwissens.

Daher ist es vonseiten des Arsenal Kinos wiederum auch keine schlechte Anordnung, „Heimatfilm“ in der Musterung der ihm gewidmeten Werkschau entgegen einer Chronologie ganz ans Ende der Reihe zu stellen. Denn wenn man es wirklich ernst gemeint hat mit der Verfolgung von Ludwig Wüsts Arbeit, etwa, indem man die vier Filmtermine wahrgenommen hat, dann guckt man diese mysteriös anmutende Ansammlung von Screentests, Videoaufnahmen und Eigenbeobachtungen so, als ginge es an die Erkundung einer eigenen Kiste voller Erinnerungen.

Wüst legt Fährten aus, er möchte, dass man ihm auf die Spur kommt. Seit 16 Jahren tut er das und in verschiedenen Disziplinen: im Handwerk, welches das eines Tischlers ist, im Theater (er hat Schauspiel und Gesang studiert) und eben im Film. In „Heimatfilm“ breitet die Prostituierte aus „Koma“ in aller Ausführlichkeit ihren Werdegang aus, gesteht den wohl unerfüllt bleibenden Traum, einmal bis nach Hollywood zu kommen und zeigt einige mit Wassermalfarben gekleckste Selbstportraits, auf denen die rot gebliebenen Bäckchen das Erkennungsmerkmal bilden. Dazwischen sieht man Ludwig Wüst, Personalunion eines Regisseurs und Darstellers, eine Peepshow aufsuchen.

Dann, in einer anderen Szene, steht die Schauspielerin Gina Mattiello vor offenem Fenster und lässt sich in die Tiefe fallen. Ein Motiv aus „Zwei Frauen“ (2006), wo ein zugestelltes Videoband das Geheimnis einer Affäre preisgibt. Es ist ein Spiel aus Wissen und Nichtwissen sowie Medien, die als Träger bestimmter Wissenselemente fungieren und die damit die Macht besitzen, Wirklichkeit zu vervollständigen und gleichsam neu herzustellen. Mit ihr müssen Wüsts Figuren dann erst ein mal zurechtkommen.

Es ist das Spiel, das hier betrieben wird. Sammlung, Vervollständigung, das Bewusstsein um die Leerstellen in sich und die Geheimnisse der anderen, Träume, die sich Jahre später ihren Weg in die künstlerische Arbeit bahnen und Erinnerungen, die nicht losgelassen werden wollen. Die Suche nach dem Irrtum, wenn man in den Spiegel schaut. Oder die emotionale Wahrheit, die sich wie in „Zwei Frauen“ ganz physisch über der Kloschüssel als Erbrochenes zu erkennen gibt. Wüsts Filme sind Dokumente von Eindringlingen, die oft als Videokameras daherkommen und etwas vormals Geschütztes aufsplittern. Und so liegt dann auf einen Schlag wirklich viel offen in diesen Filmen und Menschen, die dennoch oder deswegen sehr aufgeworfen davorstehen.

Werkschau Ludwig Wüst: Kino Arsenal, Potsdamer Straße 2, 1.–3. Februar

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