zwischen den rillen: Weiße sollen diskutieren, nicht tanzen
Zu welcher Musik tanzen wir und wer stellt sie her? Diese Fragen nachts auf der Tanzfläche zu erörtern mag anstrengend sein, doch gerade wir Europäer*innen sollten das tun. Vor allem dann, wenn wir mit Musik interagieren und von ihr profitieren. In europäischen Clubs tanzen überwiegend Weiße zu einem Sound, der maßgeblich von Schwarzen geprägten Genres Disco, House und Techno. Inklusive neuester Strömungen wie Gqom, ein Dance-Genre, das in den südafrikanischen Townships entstanden ist. Überwiegend Weiße legen Gqom in Europa auf, organisieren Partys, betreiben Clubs, veröffentlichen die Musik auf ihren Labels.
Von London aus versucht seit einiger Zeit das Kollektiv Non Worldwide unser Bewusstsein für diese einseitige Situation zu schärfen und etwas an dem Zustand zu ändern. Das von den afrikanischen Produzent*innen Nkisi, Chino Amobi und Angel-Ho gegründete Label Non Worldwide hat es sich zum Ziel gemacht, Musik von Künstlern mit afrikanischen Wurzeln zu veröffentlichen. Non Worldwide veranstaltet Partys und organisiert Ausstellungen. Die Beteiligten nutzen neue Kommunikationstechnologien als Tool, um Künstler*innen aus der afrikanischen Diaspora besser zu vernetzen. Es geht dabei weniger um die Durchsetzung eines bestimmten Sounds, sondern mehr um Fragestellungen bezüglich des Postkolonialismus: Wer kümmert sich um die Musik von People of Color?
„Wir!“, würden die Betreiber des Non-Kollektivs wohl sagen. Auf ihrer „Non Worldwide Compilation Vol. 1“ (2015) platzierten die Macher einen Gqom-Tune selbstverständlich neben den Elektronik-Tracks der Soundtüftler Yves Tumor und Gaika. Mit von der Partie war damals schon Nkisi. Ihr „Collective Self Defense“ wird getragen von einem hibbeligen Vocal-Sample, dem schmutzige Percussion hinterhertippelt. Das Gemisch wird von gemächlich anklingenden Synthpads ergänzt, bald erklingt kurz und klar eine schöne Frauenstimme. Nkisi schafft es, Dancefloor-Sound zu kreieren, dessen Klang sich nach und nach zu einem Spektakel aufbaut. Doch erst wenn ein Song vorbei ist, kommt die Erkenntnis darüber, wie viele Klangschichten sich da überlagert haben. Nkisis heute veröffentlichtes neues Album „7 Directions“ hat dieses Konzept perfektioniert.
Auf sieben Stücken dominiert meist das dumpfe Grollen einer Bassline. Sie rumort mürrisch im Hintergrund und bildet die Basis für Polyrhythmen und aufregende Percussionelemente. Die Songs muten technoid an, manchmal stampfen die Kicks so aggressiv im Takt, dass es wirkt, als hätte Nkisi beweisen wollen, dass Gabber noch immer brauchbare Tanzmusik ist.
Nkisi hat Wurzeln im Kongo, ist in Belgien aufgewachsen und lebt in London. Dort ist auch ein Remix entstanden, der kongolesische Rhythmen und Percussionelemente einsetzt, belgische Rave-Sounds wie Gabber zitiert und aktuelle experimentelle elektronische Musik verinnerlicht.
Als theoretischen Unterbau für ihre Musik nennt Nkisi die spirituelle und philosophische Bantu-Kongo-Kosmologie. Vereinfacht dargestellt geht es ihr darum, einen Zustand zwischen Bewusstsein und Halluzinationen auszulösen, um dadurch eurozentristische Erwartungen an Tanzmusik zu stören und schließlich zu unterwandern.
Vor allem der mehr als zehnminütige Track „II“ löst dies ein. Er wird charakterisiert durch ein Sample, das klingt wie der schnelle Atem eines Lebewesens und sich endlos wiederholt. Allmählich wird es kraftvoller, panischer, verzweifelter – aber nur im Kopf. Nkisi provoziert eine Reflexion des eigenen Hörens. Das macht ihre Musik so spannend. Johann Voigt
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