: Das letzte Stück
DEBATTE Ein persönlicher Text eines Beschnittenen in der sonntaz – und es hagelte Leserbriefe und Kommentare auf taz.de. Wie ist der Sex denn nun besser: mit oder ohne Vorhaut? Die Leser streiten. Ein Auszug
Alexander Bachl, taz-Leser
Durch die Eltern entstellt
Ich wurde als Sechsjähriger aus religiösen Gründen beschnitten und kann mich noch sehr gut an die Schmerzen erinnern. Es tat lange sehr weh. Jede Operation läuft anders, zum Beispiel habe ich mir alle vier Weisheitszähne auf einmal ziehen lassen und keine Probleme gehabt. Aber das war medizinisch begründet. Da ich mit sechs noch keinen Sex hatte, habe ich keinen Vergleich. Ich merke nur, dass ich viele Stellungen oder Praktiken wie Oralverkehr nicht machen kann, und auch Kondome dämpfen zu viel. Bei weitem nicht jeder hat diese Probleme. Aus den Erzählungen und Kommentaren während der Diskussion schätze ich die Rate auf zehn bis fünfzehn Prozent. Die Frage ist nicht, ob die Beschneidung generell gut oder schlecht ist, sondern ob die Eltern einem aus nicht medizinischen Gründen diese Tortur anordnen und ob Ärzte sie ohne Einwilligung des Patienten durchführen dürfen. Meine Antwort ist: nein. Denn kein Arzt kann mir mit meinen Problemen helfen. Ich kann nirgendwo Gerechtigkeit finden. Mein Körper wurde auf Wunsch meiner Eltern entstellt. Wo waren meine Wünsche, wo waren meine Rechte? Nichts kann mir meine Vorhaut wiedergeben. Alexander Bachl, München
Der Autor als Fachmann
Ich habe mich bei der Beschneidungsdiskussion schon die ganze Zeit gefragt: Warum schreibt nicht mal ein als Erwachsener „Beschnittener“ über die Problematik; das ist ja letztendlich der Fachmann. Daher an dieser Stelle meinen besonderen Dank an Niels Juel für seine Offenheit und dass er mir ermöglicht, mir eine exakte und fundierte Meinung zu bilden. Sibylla Nachbauer, Erlangen
Vorhaut nie vermisst
Die einzige Erfahrung und Empfindung, die der Schreiber dieser Zeilen mit dem Autor teilt, ist der postoperative Schmerz. Ob der bei Kindern oder Säuglingen geringer ist, vermag ich nicht zu beurteilen, aber der blutgetränkte Mullkranz, der sich bei einer Erektion wie ein Folterinstrument um die frische Operationswunde schließt, der ist schon von besonderer Qualität.
Man liegt eine Woche in der Klinik und wird mit allen erdenklichen Schmerzmitteln versorgt. Es dauerte nach meiner Erinnerung ein bis zwei Jahre, bis aus der empfindlichen Schleimhaut der Eichel eine normale Lederhaut wurde und diese nicht mehr unangenehm an der Wäsche scheuerte. Die Vorhaut habe ich nie vermisst, und meine Partnerinnen, so weit sie sich dazu geäußert haben, ebenfalls nicht, im Gegenteil. Heinrich Ebbers, Bremen
Vögeln wir anders?
Ich habe mich selbst als Erwachsener, ohne medizinische Indikation, beschneiden lassen. Und um es vorweg zu sagen, nach 28 Jahren ohne Vorhaut: Ich würde es sofort wieder machen. Männer, die vor der Pubertät beschnitten wurden, können das wahrscheinlich gar nicht nachvollziehen, als sie in die Pubertät kamen, hatten sie ja keine Vorhaut mehr. In der Kindheit beschnittene Männer wissen gar nicht, wie unangenehm unbeschnittene Schwänze von Beginn der Pubertät an stinken. Haben den Schmodder, bestehend aus Sperma und Urin, die sich unter der Vorhaut ansammeln, weder gesehen noch gerochen. „Schwänze stinken“ würden Frauen über beschnittene Schwänze niemals sagen. Der Schmodder ist ein Nährboden für ansteckende Krankheiten, wie Gebärmutterhalskrebs.
Ich will die von Niels Juel gemachten Erfahrungen gar nicht in Frage stellen. Es gibt aber eben auch ganz andere Erfahrungen. Zur von ihm beschriebenen Stoßtechnik: Habe eben zwei Frauen angerufen, mit denen ich langjährige Beziehungen hatte, und sie gefragt, ob Beschnittene anders vögeln als Unbeschnittene. Sie verneinen das eindeutig. Zum Hygieneargument: Die Viren, die Peniskrebs, Harnwegsinfektionen und Gebärmutterhalskrebs verursachen, finden unter der Vorhaut ein ideales Milieu. Das wischt der Autor mit dem Argument vom Tisch, dass es doch Penicillin gebe. Warum nicht auch verunreinigtes Wasser trinken? Anschließend kann ich ja Antibiotika nehmen. In der Massentierhaltung wird genauso vorgegangen. Werner Kleier, Köln
Spruch für die 38. KW
So mancher schlaffer Stummelschwanz Erigiert in exhibitionistischer Penetranz, zu dem, was er ist: ein sexueller Egoist. Ralf Grosser
Taoistische Hirschübung
Ich habe mich schon lange gefragt, ob nicht beschnittene Männer die besseren Liebhaber wären, weil sie eben nicht mehr so empfindsam reagieren und dadurch eine längere Zeitspanne mit Liebesspielen verbringen können. Nun schildern Sie Ihre persönliche Wahrnehmung, und es mag durchaus sein, dass es anderen Männern anders ergeht. Es kann auch sein, dass Sie Ihre Empfindsamkeit mittels Konzentrations- und Entspannungstechniken, zum Beispiel der taoistischen Hirschübung, vielleicht wieder steigern können. Wir wissen es nicht. Und genau darin sehe ich den problematischen Kern dieser Diskussion.
Wie können wir das lernen – Lust und Liebe? Aus meiner sexualberaterischen Arbeit weiß ich, dass das viele Frauen und deren Männer nicht wissen, egal welcher Gemeinschaftszugehörigkeit. Birgit Kübler, Regensburg
Der beste Artikel
Danke für den Artikel, das ist der beste Artikel zum Thema, den ich bisher gelesen habe. Peter van Steenacker, Hamburg
Der „Bravo“ geglaubt
Ich wurde mit acht Jahren wegen einer harmlosen Phimose beschnitten. Wie sich diese Beschneidung auf mein Leben, vor allem auf mein Sexualleben auswirkte, konnte ich lange Zeit nicht einschätzen. Es war normal für mich, dass ich beim Sex sehr ausdauernd war, dass meine Sexpartnerinnen mich darum baten, ich möge doch bitte mal zum Schluss kommen. Ich hatte die Geschichten geglaubt, die ich in der Bravo gelesen hatte, von besserer Ästhetik, leichter Hygiene, konkurrenzloser Standfestigkeit. So sehr, dass ich beinahe meinen Sohn hätte beschneiden lassen, als bei ihm ebenfalls eine (beschwerdefreie) Phimose diagnostiziert wurde. Ich bin meiner Frau auf ewig dankbar, dass sie sich dagegen gewehrt hat. Sie war gegen Beschneidungen, warum nur? Okay, sie hatte danach oft tagelang Schmerzen, war regelrecht wund. Aber war sie nicht einfach nur zu trocken? Wenn wir Gleitmittel benutzten, wurde die Sache auch nicht besser, denn jetzt dauerte es für mich noch länger, die Reibung war ja deutlich herabgesetzt. Heute weiß ich, wie sehr mir die Beschneidung geschadet hat. Meine Eichel ist fast empfindungslos. Ich kann Gesichtspeeling auf ihr verreiben, und es macht mir nichts aus. So was einem Kind, einem Säugling anzutun, ist ein Verbrechen, nicht weniger. Das muss endlich aufhören! Werner Erndl
Was, wenn man ihn liebt?
Ich möchte mich als erfahrene und ältere Frau in die Debatte einmischen. Über Grausamkeit an Kindern muss man ja wohl gar nicht erst diskutieren, oder? Da ist aber auch noch der Aspekt des Lustempfindens für Frauen, der in den Foren viel zu kurz kommt. Als Frau mit Erfahrung sowohl mit beschnittenen als auch unbeschnittenen Männern kann ich nur dagegen ankämpfen, kleinen Jungs mit ihrer Vorhaut die Fähigkeit zum sensiblen Sexualempfinden zu amputieren. Das Sexualverhalten eines Mannes, dessen intakte Eichel und Vorhaut auf jede zarte Berührung ekstatisch reagiert, löst auch in einer Frau allergrößte Lustgefühle aus. Das Eindringen einer feuchten Eichel in die Vagina tut nicht weh – im Gegensatz zu den „lederhäutigen“ Eicheln beschnittener Männer. Und das sanfte Gleiten des Penis in der Vagina ist so unvergleichlich schöner als das Rubbeln und Rammeln eines beschnittenen Mannes, der ohne robuste Stimulation nicht zum Orgasmus kommt. Letzteres führt oft dazu, dass sie beim nächsten Mal gar nicht erst feucht wird, und der Teufelskreis geht weiter. Wenn man aber nun einen beschnittenen Mann liebt? Dann bleibt nur, sich mit den Zuständen abzufinden, denn er hat ja keine Chance, die Verstümmelung rückgängig zu machen. Und so liegt weiter der Mantel des Schweigens über der ganzen Sache. taz.de-Leserin, anonym
■ Der Artikel: Niels Juel beschrieb in der sonntaz vergangene Woche seine Erfahrungen beim Sex mit und ohne Vorhaut. Nachzulesen unter taz.de/beschneidung
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen