Gruseltheater in Bremen: Gänsehaut im Kuriositätenkabinett
Armin Petras bringt am Theater Bremen eine knallbunte Vaudeville-„Lulu“ mit der britischen Band The Tiger Lillies auf die Bühne. Dabei bleiben die Abgründe zu flach.
Man muss es kurz erklären: Frank Wedekinds Doppeldrama „Erdgeist“ und „Die Büchse der Pandora“ erzählt die Geschichte von Lulu als eine Männerphantasie, als Projektionsfläche, die – wenn schlüssig inszeniert und in all ihren Widersprüchen überzeugend gespielt – schließlich Macht über „ihre“ Männer erlangt. Das ist eine sexistische Konstruktion, aber eine, die seit gut hundert Jahren vorführt, wie sie das Publikum in sexistischen Gesellschaften auf die Palme zu bringen weiß.
Aus dieser Vorlage haben die britischen Monstrositätenkabarettisten, The Tiger Lillies, ein symbolisch überladenes, schwarzhumoriges Karnevalsprogramm entworfen. Das wiederum hat Goetheplatz-Hausregisseur Armin Petras nun vom allergröbsten Firlefanz befreit als „Lulu – Ein Rock-Vaudeville“ am Bremer Goetheplatz auf die Bühne gebracht.
Oder vielmehr: Er hat es mitsamt der halben Besetzung aus Stuttgart mitgebracht, wo Petras/Jacques/Wedekind seit Ende 2017 höchst erfolgreich gelaufen ist. Die Oberflächlichkeit kann man ihm verzeihen, sie liegt im Stück und hat gute Gründe: Wedekinds Figuren sind einfach gestrickte Typen, affektgesteuert und primitiv in ihrer Lust. Interessant ist erst die ästhetische Auseinandersetzung mit dieser animalischen Ursuppe. Für die wilhelminische Gesellschaft war es bereits eine Zumutung im besten Sinne, das Unbewusste nach außen zu kehren.
Einfach gestrickte Typen
Und heute muss man sich eben entscheiden, was man aus dem Opferstatus einer von Männern zerstörten Frau macht. Oder auch eben nicht. Bei Petras jedenfalls ist es einfach eine undatierte Nostalgie. Na gut, das „Vaudeville“ im Titel meint nicht nur das musikalische Unterhaltungstheater aus Wedekinds Zeiten, sondern bezieht sich schon auch auf heutiges Unterhaltungsprogramm, indem es die seelischen Extremzustände zum knallbunten Spektakel aufbläst.
Die Tiger-Lillies-Songtexte bleiben auf Englisch, in den kurzen Szenen dazwischen wird gelegentlich übersetzt. Manchmal gelingt eine sehr schöne Sprache: „Jedes Mal, wenn ich in ein Fleischergeschäft gehe, bin ich verwundert, dass ich nicht schon selbst da hänge“, manchmal auch lustig mit Blick auf einen von der Decke baumelnden Haken: „Oh look, a hook.“
Auch musikalisch holt Miles Perkin das Beste aus dem Material, die Besetzung singt und spielt bezaubernd mit: von morbiden Kaffeehausmomenten, bis zum (harten) Rockkonzert. Nur auf Jacques’ charakteristischen Falsett-Gesang muss verzichtet werden. Den kann man eben nicht nachsingen, wenn man es nicht kann.
Kurz mal feministisch
Stattdessen wird einmal hochgepitcht, was ein hübsches Zitat ist und vielleicht auch ein Verweis auf die Seelenlosigkeit des Popgeschäfts, für das der Autotune-Effekt ja längst pars pro toto steht. Ein Mal ist das witzig – und ein Mal machen sie es auch nur.
Überhaupt sind die Zutaten haargenau abgemischt und die Kuriositätenmaschine dieses Stücks gibt vielleicht nicht immer alles, dafür aber von allem ein bisschen: Zu lachen gibt es was, ein bisschen schrecklich ist es auch und ein wenig nackte Haut ist auch zu sehen.
Es wird sogar kurz feministisch, als Berit Jentzsch aus der Rolle der Gäschwitz fährt und ihr Namensschild in Fetzen ans Publikum verteilt. Man könne ihr ja mal was abnehmen von der Last ihrer Rolle. Das sei im Grunde ganz leicht und viel habe man auch gar nicht zu tun: „Nur schweigen und in der Ecke stehen.“ Später wird Simon Zigah als Dr. Shunning sexistische Witze erzählen – soll vielleicht ein Appell an niedere Instinkte sein.
Viel Notalgie-Gerümpel
Es ist jedenfalls was los auf der von Julian Marbach mit zwei Konzertbühnen, einem Altar unter leuchtendem Kreuz und allerlei Nostalgie-Gerümpel zugestellten Bühne des Kleinen Hauses. Es ist ein klaustrophobisches Kuriositätenkabinett, aus dem heraus Tier gewordene Menschen, meist Frauen, das Publikum wortwörtlich anspringen. In der Nähe des Höhepunkts werden sackweise Zehntausend-Dollar-Noten ins Publikum geblasen.
Sandra Gerling als rotznasige Hauptfigur Lulu hält sich in diesem Chaos außerordentlich gut. Wie man der Rolle noch so einen Stolz verleihen kann, wenn man mit verlaufenem Make-up und selbst im Billigkleid hart overdressed wie von einem völlig eskalierten Abtanzball nach Hause stapft – es bleibt ihr Geheimnis. Apropos Abtanzball: Die Botschaft „You’re such a pervert“ bekam das Publikum gleich am Einlass auf Postkarten in die Hand gedrückt. Schwarz auf weiß: Man soll selbst schuld sein an den vulgären Kindfrauen, Sadomaso-Bildern, dem Lustmord und so weiter.
Unter den beteiligten Bremer*innen überzeugt besonders Mirjam Rast als Jack the Ripper, die mit angeklebtem Schnäuzer, Cape und ihren ein Meter sechzig ein beeindruckendes Monstrum abgibt. Aber auch Simon Zigah und Alexander Angeletta fügen sich mit je eigener Handschrift ein in den bunten Reigen.
So weit, so gut. Doch so unterhaltsam das Stück auch ist: Dafür, dass es im Text von Hölle, Tod und Suizid nur so wimmelt, bleiben die seelischen Abgründe doch ausgesprochen flach.
Abgründe bleiben flach
Es ist halt der Stoff, aus dem sich Dark Cabaret immer wieder bedient, der letztlich ein bisschen Gänsehaut macht und weiter nichts. Dass dazu wie selbstverständlich auch Unterwerfung und Objektivierung der Frauen gehört, das nervt nach #metoo ein bisschen mehr als vorher – weil es sowas absichtlich Ignorantes hat.
Nächste Aufführungen: Do, 17. 1. + So, 20. 1., 18.30 Uhr, Theater Bremen/Kleines Haus
Wobei: Vielleicht droht der Diskurs über Feminismus, beleidigten Männern und der Gleichberechtigung ja tatsächlich zum Spektakel zu verkommen. Vielleicht will das Stück daran Kritik üben. Deutlich wahrscheinlicher ist aber: Hier war einfach allen alles egal.
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