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Unbesetzte Plätze, unbezahlte Überstunden

Mehrere Untersuchungen des Deutschen Gewerkschaftsbundes zeigen Probleme im Ausbildungsmarkt in Norddeutschland auf

Die Zustimmungswerte variieren stark nach Branchen und einzelnen Betrieben, aber sie hängen immer mit den Ausbildungsumständen zusammen

Von Frieda Ahrens

Nur knapp über 70 Prozent sind zufrieden mit ihrer Ausbildung – die schlechteste Akzeptanz seit Jahren. Das hat der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) mittels seiner Ausbildungsreporte erhoben. Und im Norden sehen die Zahlen sogar noch etwas schlechter aus: In Niedersachsen und Bremen sind nicht einmal 70 Prozent zufrieden mit ihrer Ausbildung. Im Vorjahr lag der Wert noch bei 75 Prozent. Und auch in Schleswig-Holstein sind es nur 68,7 Prozent. Diese Zustimmungswerte variieren stark nach Branchen und einzelnen Betrieben, doch hängen sie immer konkret mit den Ausbildungsumständen zusammen.

Zu solchen Umständen gehört, dass in Bremen und Niedersachsen gut ein Drittel der Auszubildenden Überstunden leisten müssen, im Schnitt vier pro Woche. Viele Auszubildende bekommen dafür weder Freizeitausgleich noch eine Vergütung.

Auch in Schleswig-Holstein müssen 39,1 Prozent der Befragten Überstunden leisten. Dort geben 14,3 Prozent der Befragten unter 18 Jahren an, mehr als 40 Stunden in der Woche zu arbeiten. In Bremen und Niedersachsen sind es 8,5 Prozent. Diese Zahlen sind in den letzten Jahren immens gesunken, sollten aber eigentlich bei null sein.

Uwe Polkaehn, Vorsitzender des DGB Nord, beschwert sich über solche Arbeitsbedingungen in den Betrieben: „Wer minderjährigen Auszubildenden immer wieder Überstunden abverlangt, verstößt gegen geltende Gesetze.“ „Leider müssen wir seit Jahren feststellen, dass es Verstöße von Seiten der Arbeitgeber gegen Vorschriften und Gesetze gibt“, ergänzt Hannes Scherf, DGB-Jugendbildungsreferent: „Es kann nicht sein, dass Azubis die Quittung für eine schlechte Organisation ihres Betriebs bekommen.“

Die DGB-Jugend fordert daher: „Eine Ergänzung des § 17 BBiG dahingehend, dass keine Beschäftigung erfolgen darf, die über die vereinbarte, wöchentliche Ausbildungszeit hinausgeht.“ Bisher steht dort nur, dass Beschäftigung, die über „die vereinbarte regelmäßige tägliche Ausbildungszeit“ hinausgeht, entsprechend vergütet oder ausgeglichen werden muss.

Eine weitere wichtige Forderung des Gewerkschaftsnachwuchses ist, dass alle Ausbildungsinteressierten eine Ausbildungsstelle erhalten sollten. Was viele für eine Selbstverständlichkeit halten, ist lange nicht Realität. Die Reporte des Nordens zeigen: Von 100 BewerberInnen in Niedersachsen bekommen nur 88 eine Stelle. In Bremen sind es sogar nur 87,5, in Schleswig-Holstein 86,6 und in Hamburg 86. Im Bund liegt die Zahl höher, bei immerhin 94,8.Dabei steigt die Zahl der Ausbildungsplätze etwa in Hamburg kontinuierlich an. „Die Berufsausbildung ist ein attraktiver Einstieg ins Arbeitsleben, dafür stehen natürlich auch die Berufe im öffentlichen Dienst“, sagt Hamburgs Bildungssenator Ties Rabe (SPD): „Die Auswahl an Ausbildungsmöglichkeiten erweitert sich ständig.“

Doch das reicht der DGB-Jugend nicht. Es müssten mehr Betriebe ausbilden, innovativere Finanzierungsmodelle müssten eingeführt werden. Sie fordern die Betriebe auf, keine Bestenauslese zu betreiben, um auch niedriger qualifizierten BewerberInnen Chancen zu ermöglichen.

Es gibt jedes Jahr auch viele Ausbildungsplätze, die nicht belegt werden. Es offenbart sich ein „Matching“-Problem zwischen interessierten jungen Leuten und Betrieben, die zwar Ausbildungen anbieten, aber laut Gewerkschaft „augenscheinlich selbst zum Teil nicht ‚ausbildungsreif‘ sind“. Dies führt dazu, dass viele Auszubildende nicht in dem Berufsfeld landen, in dem sie eigentlich sein wollen. In Schleswig-Holstein erlernen nur 30 Prozent der Auszubildenden ihren Wunschberuf. In Bremen und Niedersachsen sind es gerade ein Drittel. Mehr als ein Viertel der Azubis in den drei Bundesländern macht eine Ausbildung in einem Beruf „der eigentlich nicht geplant war“ oder eine „Notlösung“ ist.

Doch es gibt auch viele Auszubildende, die ihren Beruf mögen und sich vorstellen können, in dem Bereich in Zukunft zu arbeiten. Konkrete Zusagen gibt es aber wenige: In Bremen und Niedersachsen rechnen nur 34,5 Prozent der Befragten fest damit, nach der Ausbildung übernommen zu werden. In Schleswig-Holstein sind es mit 30,9 Prozent noch weniger.

Neben Ver.di und dem DGB beschweren sich in Bremen auch Politiker über die Situation auf dem Ausbildungsmarkt. „All diese Zahlen müssten die Kammern, aber auch die Politik alarmieren, hier endlich beherzt zu handeln und zwar mit sichtbaren Ergebnissen“, sagt Miriam Strunge, Ausbildungspolitische Sprecherin der Linksfraktion in der Bremischen Bürgerschaft. Die Linke unterstütze die Forderung des DGB, auf Landesebene eine Ausbildungsumlage einzuführen, um die Zahl der Ausbildungsplätze zu erhöhen. „Wir haben dazu einen Antrag eingereicht“, so Strunge, „denn wir finden, jeder junge Mensch hat das Recht auf einen Ausbildungsplatz.“

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