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Pralle Kunst-Wurst

Wischmop, H-Milch, Würstchenmann: Der Osnabrücker „Kunstraum hase29“ zeigt „Bambi Goes Art – Das Banale in der Kunst“. Eine skurrile Schau, die Augen öffnet

Von Harff-Peter Schönherr

Bambi? Man muss nicht David Berry Jr. heißen, um bei diesem Namen Qual zu empfinden. Jeden Monat muss sich der Wilderer aus Missouri, USA, im Gefängnis Walt Disneys herzigen Zeichentrick-Spielfilm ansehen, zur Strafe und Besserung. Aber keine Angst: Wer im Osnabrücker „Kunstraum hase29“ nach dem berühmtesten Weißwedelhirsch der Welt Ausschau hält, in „Bambi Goes Art – Das Banale in der Kunst“, muss keine Qual fürchten.

Als Bügelperlen-Emoticon, auf ein ovales Wandspiegelchen geklebt, kommt das Tränenrühr-Tierchen so hintersinnig rüber, so skurril, so bizarr, so witzig, so ironisch, so chiffrehaft, wie alles hier. Ein Gartenzwerg leistet Bambi in Marion Tischlers 15-teiliger Installation Gesellschaft, ein Häschen, ein Herzchen, ein Monsterchen, alles in Perlen, alles auf Spiegel. Besucher, die sich direkt vor den Schriftzug „Cute“ trauen, werden Teil der Show, zumindest für sich selbst.

Zwölf Künstler lässt Kurator Michael Kröger reflektieren, „dass das Banale und das Banalisieren sowohl unsere bisherigen Ideen von Kunst als auch die gegenwärtige Erfahrung von Konsum und auch Kunstkonsum wechselseitig in Frage stellen und sich so gegenseitig steigern“. Kröger, bis 2017 Kurator am Herforder Museum Marta, heute der kleinen, aber hoch ambitionierten Osnabrücker „Gesellschaft für zeitgenössische Kunst“ verbunden, leistet eindrucksvolle Arbeit: Ihre Statements öffnen Augen.

Thomas Rentmeisters Rechteck aus 660 blauweißen H-Milch-Packungen saugt uns direkt ins Zentrum des Geschehens. Kröger, lachend: „Sonderbestellung bei Penny. Der Marktleiter war total kunst­interessiert.“ Banales, seinem Normal-Umraum enthoben, behaftet mit neuer Wertigkeit? Am Ende kehrt es zu seiner alten Funktion zurück: Die Kunst gewordene Milch wird zur Spende für die Osnabrücker „Tafel“. Warum sie uns in zwei Fettgehaltsstufen zu Füßen steht, zu 1,5 und zu 3,5 Prozent? Vielleicht ein Verweis auf die Eigenwilligkeit des Bodenbelags der Galerie, der mit seinen mehrfarbigen, großformatigen Schlammlawinen-Schlieren fast ein eigenes Kunstwerk ist.

Nur wenige Schritte neben Rentmeisters Werkstoff aus dem Discounter: Erwin Wurms Selbstporträt in klassischer Hochkultur-Bronze, eine Skulptur mit dem verstörenden Titel „Gigant klein, ich ideal“. Auch sie hat Lebensmittelcharakter, allerdings nur im übertragenen Sinn: Wurm zeigt sich uns in Würstchenform, zum Platzen prallgestopft. Wer sich auf „Bambi Goes Art“ einlässt, demonstriert er uns damit, fragt sich, wie sich unser Bild von Kunst verändert, „wenn Kunst unter Bedingungen erfahren wird“, so Köster, „die vor allem auch mit dem Konsum und der Ästhetik des Konsums verbunden sind“.

Wurms Würstchenarme formen eine Geste, die sich sowohl als Aufbegehren als auch als Hilflosigkeit lesen lässt. Heißt wohl: Na, bitte! Und jetzt? Was bleibt der Kunst jetzt noch? Kurator Kröger setzt auf Ambivalenzen, Widersprüche, Doppeldeutigkeiten. Herausfordernd ist das. Und es macht Spaß. Vor allem beim Dechiffrieren.

Da ist zum Beispiel der riesige Apfel „Evil/Good“ des Künstlerkollektivs Claire Fontaine: LED-Box vor stylischem Silbergrau. Und, nein, es ist nur auf den ersten Blick der Apple-Apfel: die Biss-Stelle fehlt. Aber da wir gewohnt sind, sie zu sehen, ergänzt unser Hirn sie auch hier. Konsumprägung, die unsere Wahrnehmung trübt? Claire Fontaine, in ihrer Kunst oft antikapitalistische Aktivisten, geben uns unsere Sinne zurück.

Das Künstlerkollektiv Quadrature konfrontiert uns in seinem „Loop“-Labor dagegen mit künstlicher Intelligenz: In einem Aquarium zieht ein Spielzeug-Goldfisch seine Runden. Zwei Roboter-Greifarme stehen daneben, rechts und links, der eine hebt den Fisch aus dem Wasser heraus, legt ihn ab, der andere hebt ihn wieder hinein, unausgesetzt. Kröger: „Sisyphos!“ Ein Bild der Kreisläufe des Lebens.

Es gibt Arbeiten in „Bambi“, die verlangen Verweildauer. Die rund 60 Fotos des tief verrätselten Collage-Universums „Aus überbackenen Zeiten“ von Renke Brandt ist eine von ihnen. Nudeln züngeln feuerwehrschlauchgroß aus Fenstern, Tierzungen schweben durch einen elegischen Abendhimmel, Lahmacun-Sauce überschmiert einen Teller, Fotos werden durch Käsescheiben fotografiert. Surreal ist das. Ebene über Ebene über Ebene, nicht ohne Schock und Ekel. Faszinierend, aber ein Albtraum.

Und es gibt Arbeiten in „Bambi“, die amüsieren. Benjamin Bergmanns „Wischmop“ aus Bronze zum Beispiel, der, wie Wischmops es nun mal tun, eher beiläufig in der Ecke steht. Banales Motiv, edler Werkstoff. Oder Via Lewandowskys Kupferrohr-Installation „Vati hat den Faden verloren“: Zwei Rohre klimmen eine Wand empor, ganz säuberlich, aber oben verknäulen sie sich, sinnlos, rettungslos – ein Bild des Chaos. Hochphilosophisches Motiv, banaler Werkstoff.

Es gibt aber auch Arbeiten in „Bambi“, die sind entbehrlich. Achim Riethmanns Comic-Helden zum Beispiel, Aquarelle von Batman bis Robo-Cop. Wer an ihnen vorbeigeht, auf dem Weg zu Benjamin Bergmanns „Luftmatratze“ aus Gips, aufgebockt auf Tapeziertischfüßen, hat nichts verpasst.

Der Rest aber ist stark. Auch Tobias Rehbergers Licht-Installationen „Infections“ aus der Sammlung Marta, ein Gewirr von Klettverschlüssen und Kabeln direkt aus dem Baumarkt. „Sieht aus wie gestümpert“, sagt Köster, „aber wer genau hinsieht…“ Eben: Hinsehen! Darum geht es in „Bambi“. Bedeutungsschichten erkennen. Relativieren. Und das ist oft gar nicht so einfach. Selbst bei Susanne Tunns Kohlebriketts nicht, überzogen mit weißem Lack. Steht die Kohle hier für Geld? Und das Weiß für eine Unschuldsweste, über tiefschwarzer Seele?

Und dann sind da noch die beiden Außenstationen in der Marienkirche und im Kreuzgang des Doms: Via Lewandowskys „Good God (Take it or leave it)“ – vier Neonbuchstaben, von denen der dritte, der flackrige, manchmal ausgeht und manchmal an: Good, God, Good … Hätte man sie nicht ebenso gut in der hase29 zeigen können? Hätte man; Bergmanns „Wischmop“ steht ja auch nicht bei einer Reinigungsfirma. Aber Interventionen im Stadtraum sind in hase29 eben Programm.

„Bambi“, die erste Ausstellung, die sich dezidiert mit dem Banalen in der Kunst beschäftigt, tritt an, sagt Köster, „das hohe Ross, auf dem die Kunst sitzt, zu zügeln“. Verdienstvoller Vorsatz. Mission erfüllt.

„Bambi Goes Art“: Bis 26. Januar, Osnabrück, Kunstraum Hase29

Kunstwissenschaftler Wolfgang Ullrich im Gespräch mit Kurator Michael Kröger über das Banale in der zeitgenössischen Kunst: Do, 10. 1., 19 Uhr

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