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Kolumne Minority ReportSeehofers Treibstoff

Was der Attentäter von Bottrop an Silvester getan hat, hat auch zu tun mit der Rhetorik des Innenministers. Der kennt die Macht der Propaganda.

Neujahr in Bottrop: Absperrband der Polizei an einem Teil der Osterfelder Straße Foto: dpa

W er am vergangenen Mittwoch die Tagesschau gesehen hat, bekam eine Ahnung davon, was uns in diesem noch jungen Jahr erwartet: Handyvideos von Augenzeug_innen zeigten, wie Andreas N. in der Silvesternacht in Bottrop und Essen mit seinem Auto in Menschenmengen fuhr, mit der klaren Absicht, „Ausländer zu töten“ – wie er selbst gleich nach der Tat zu Protokoll gab.

Die nächste Nachricht: „Bundesinnenminister Seehofer fordert schärfere Abschiebe­regeln.“ Ist das Zufall? Ich behaupte: nein. Was Andreas N. getan hat – ob wir es nun Terror, Amok oder Attentat nennen –, ist schwer zu trennen von der Rhetorik des Innenministers seit Minute eins seiner Amtszeit: Flüchtlinge abschieben, Flüchtlinge nicht reinlassen, jedes akute Problem auf Flüchtlinge zurückführen.

Natürlich war es nicht Seehofer, der in der Silvesternacht am Steuer des silbernen Mercedes saß. Aber wer kann noch leugnen, dass Seehofers Worte sich ausgezeichnet als Treibstoff für rechtsextreme Anschläge eignen?

Oder sind Parolen wie „Migration ist die Mutter aller Probleme“ oder „Ich wäre in Chemnitz auch auf die Straße gegangen“ etwa als Schlichtungsversuche zu deuten? Der Innenminister ist nicht der Einzige in diesem Land, der solche Hetze betreibt. Nur ist er derjenige, der auf einem Posten sitzt, von wo aus jeder Fussel von einem Gedanken zur Nachricht wird. Er weiß es, er nutzt es. Wir alle kennen die Macht von Propaganda, wir haben von ihr in der Schule gelernt. Wie sollte er sie nicht kennen?

Omnipräsenter Gefährder-Diskurs

Und während sich nun Stimmen häufen, die Andreas N.s Tat als Einzelfall eines psychisch Kranken erklären wollen, legt der Täter in seiner Vernehmung nach: Er habe gezielt Jagd auf „Kanaken“ und „Schwarzfüße“ gemacht, die sich auf Kosten des Staats bereicherten und für ihn keine Menschen seien. Er habe Anschlägen durch syrische und afghanische Flüchtlinge zuvorkommen wollen. Was soll man sagen? Der omnipräsente Gefährder-Diskurs scheint Früchte zu tragen. Auch wenn demokratiegefährdende Tendenzen offensichtlich viel mehr vom Innenministerium ausgehen als von Asylsuchenden.

So wichtig es nämlich ist, dass Andreas N.s Schuldfähigkeit untersucht wird wie bei jedem anderen Täter auch, sollte jetzt keiner so tun, als sei das, was er in Vernehmungen sagte, irgendwie „krude“ oder „paranoid“ oder auch nur einzigartig. Was der Mann sagt, deckt sich inhaltlich eins zu eins mit Aussagen, die auch im Bundestag gemacht werden, oder in Pressekonferenzen des Innenministers.

Es ist nicht erst dann rassistisch, wenn jemand „Kanake“ sagt. Rassistisch ist die gesamte Migrationsdebatte der letzten Jahre, die Panikmache vor den „Anderen“, das Runterspielen von rechtsextremen Übergriffen. Rassismus hat Andreas N. angetrieben, mit dem Auto Menschen anzufahren. Rassismus ist die einzige Basis, auf der Seehofer Politik betreibt.

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Fatma Aydemir
Redakteurin
ehem. Redakteurin im Ressort taz2/Medien. Autorin der Romane "Ellbogen" (Hanser, 2017) und "Dschinns" (Hanser, 2022). Mitherausgeberin der Literaturzeitschrift "Delfi" und des Essaybands "Eure Heimat ist unser Albtraum" (Ullstein, 2019).
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10 Kommentare

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  • Wer Seehofer sagt muss auch Söder sagen... und Dobrindt

  • „Ich wäre in Chemnitz auch auf die Straße gegangen“

    Ist das ein Original-Zitat von Seehofer?

  • 8G
    83191 (Profil gelöscht)

    Die Ursache der Terrorfahrt des Andreas N. in der Polemik/Propaganda von Hr. Seehofer zu suchen bzw. zu finden halte ich für sehr bedenklich. Seine Art die auftauchenden Probleme auszuwerten ist zweifellos diskussionswürdig, aber alle Schuldzuweisung hat eine Grenze.

    Ist dann ansonsten die Ursache der Silvesternacht in Köln von vor ein paar Jahren in der Polemik/Propaganda des IS zu suchen und damit für alle ein Abschiebe-/Anklagegrund als Terrorhelfer? Oder ist am Ende gar die 68er Bewegung für die RAF Morde verantwortlich? ;-)

    Oder, sollte sich hier außer mir noch jemand die alternativ-rechte Filterblase verfolgen.. Wessen Äußerungen sind denn dann für die "Schießt die Bullen ab" (in diversen Fremdsprachen) Äußerungen dieses Jahr Silvester in Berlin verantwortlich?



    Oder handelt es sich doch in jedem der Fälle um selbstständige Einzeltäter..?

    • @83191 (Profil gelöscht):

      zur Silvesternacht in Köln wurde doch nie bekannt woher die Idee - nennen wir es mal Anstiftung - denn wirklich gekommen ist... Zum Glück hat die Bevölkerung, dieser dumpfe Brei, auch nie danach gefragt...

  • Ich mag ja gerne glauben, dass der Anschlag von Andreas N. für die taz geradezu ein Hochamt ist, und ausnahmslos alle aus der Redaktion dazu etwas schreiben wollen. Aber das jetzt Seehofer in die Anstifter-Schuhe schieben zu wollen, das ist, nun ja...

    • @Trango:

      das ist vollkommen richtig!

    • @Trango:

      Seehofer war das ja nicht alleine, aber er ist mitverantwortlich für das Framing "kriminelle Asylbewerber, Abschieben, Abschieben, Mutter aller Probleme". Selbst wenn der Attentäter psychisch verwirrt war, hätte er sich ansonsten vielleicht von Aliens oder Chemtrails bedroht gefühlt und kein konkretes Ziel für seine Aggression gefunden. Genauso wie es bei IS-Attentätern auch durch ihr Framing (der böse Westen, die Ungläubigen, die "Jungfrauen im Paradies") dazu kommt, dass sie einen Selbstmordanschlag als Lösung ihrer Probleme sehen.

      • @undnix:

        Es mögen aber auch kriminelle Asylbewerber für das Framing "krimineller Asylbewerber" verantwortlich sein...

        • @Wellmann Juergen:

          Ich mag kriminelle Deutsche genausowenig, bin aber noch nicht auf die Idee gekommen, ich müsste willkürlich Mitbürger deswegen umbringen. Wer aus in einer Haltung kindischen Trotzes nicht zwischen „manche“ und „alle“ unterscheiden will, ist für das Zusammenleben mit Erwachsenen m.E. nicht ausreichend vorbereitet. Dass auch die taz Ihre und andere bewusst unscharfe Formulierung immer wieder durchwinkt, darf die organisierte radikale Rechte bereits als Erfolg verbuchen.