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Nahversorgung in TeneverAldi stellt sich quer

10.000 Menschen wohnen in Osterholz-Tenever. Eine Einkaufsmöglichkeit gibt es nicht: Aldi hat seine Filiale geschlossen und verhindert eine Neuansiedlung.

Der sogenannte Marktplatz in Tenever Foto: Stefan Schmidbauer

BREMEN taz | Wenn Anna Zydronik Brot oder Klopapier ausgegangen ist, muss sie in die Straßenbahn steigen. Die nächste Einkaufsmöglichkeit ist anderthalb Kilometer von ihrer Wohnung entfernt, zu Fuß schafft die 80-Jährige die Strecke nicht mehr. Der Rücken, die Hüfte. Leisten kann sich die Rentnerin die Straßenbahn eigentlich nicht. Deshalb spart sie am Essen. „Dann kaufe ich halt einen Apfel weniger.“

Dabei liegt ihre Wohnung mitten in Tenever. 10.000 Menschen leben dort nach Zählung des Statistischen Landesamtes. Für sie gibt es vor Ort keinen einzigen Supermarkt, keine Drogerie, keinen Gemüsehändler. Seit vor zwei Jahren der Aldi-Markt in der Koblenzer Straße geschlossen hat, müssen die Teneveraner*innen zum Einkaufen in den Weserpark oder zum Schweizer Eck.

Und das ausgerechnet hier, in der Hochhaussiedlung aus den 70er-Jahren, die so konzipiert wurde, dass ihre Bewohner*innen das Viertel nur zum Arbeiten verlassen mussten. Übrig geblieben ist davon nicht viel. Das Schwimmbad gibt es noch, einen Friseur und den Imbiss „Dallas Bistro“. Und bis 2016 den Aldi.

Die Filiale in Tenever habe sich – wie die im nahen Mahndorf – nicht gerechnet, sagt Longinius Flenker. Er leitet bei Aldi Nord die Abteilung Immobilien und Expansion. Deshalb habe Aldi beide Märkte geschlossen und eine neue Filiale im Einkaufszentrum „Weserpark“ auf halber Strecke zwischen Tenever und Mahndorf eröffnet.

Einkauf für die Großfamilie

Für die Anwohner*innen heißt das: Wer kein Auto hat oder die Strecke nicht laufen kann, muss Straßenbahn fahren. Drei Stationen sind es in beide Richtungen, ein Ticket für eine Kurzstrecke kostet 1,45 Euro.

Das ist für viele Menschen in Tenever viel Geld für jeden Einkauf. 4.180 Haushalte zählt das Statistische Landesamt in Tenever, davon bezieht rund ein Drittel staatliche Hilfen.

Die fehlende Einkaufsmöglichkeit ist aber nicht nur ein finanzielles, sondern auch ein logistisches Problem. In dem Stadtteil leben überdurchschnittlich viele Alleinerziehende – von denen laut dem aktuellen Armutsbericht des Bremer Senats wiederum über 70 Prozent staatliche Hilfen bekommen. Und zu den Familien, ob mit einem oder zwei Elternteilen, gehören häufig mehr als zwei Kinder. In über der Hälfte der Haushalte mit Kindern leben laut statistischem Landesamt vier und mehr Personen. Ein Einkauf ist da nichts, was mal eben nebenbei erledigt werden kann.

In den Kaufvertrag hat Aldi eine Klausel hineingeschrieben, nach der bis ins Jahr 2036 kein anderer Nahversorger ohne Aldis Einverständnis auf dem Gelände betrieben werden darf

„Ein Unding“ nennt Jutta Flerlage die Situation. Sie leitet die Beratungsstelle „Frauengesundheit in Tenever“ und kennt die Probleme der Anwohner*innen aus deren Erzählungen. Auch Anna Zydronik kommt in die Räume der Beratungsstelle neben dem Schwimmbad, um sich über den fehlenden Supermarkt zu beschweren. Besonders wütend ist sie, weil sie vor zwei Jahren extra wegen des Discounters nebenan hierhergezogen ist.

„Das Thema bewegt hier viele“, sagt die Frauengesundheit-Mitarbeiterin Flerlage. Sie fragt sich oft, wie die Frauen die Einkäufe für ihre Großfamilien bewältigen. In einem ihrer Kurse kämen auf zwölf Teilnehmerinnen 76 Kinder, rechnet sie vor. Also sechs im Durchschnitt. Aber nicht nur für Familien, sagt Flerlage, auch für ältere Menschen und Menschen mit körperlichen Beeinträchtigungen sei das Einkaufen ein Problem.

Davon betroffen sind auch die Bewohner*innen des Altenheims der Bremer Heimstiftung in Tenever. Sieben von ihnen können, erklärt Hausleiterin Marina Aydt, für zwei Euro für Hin- und Rückfahrt mit einem Großraumtaxi zum Weserpark und wieder zurück fahren.

Anna Zydronik kauft selbst nur „die kleinen Dinge“ ein, wie sie es nennt. Den Rest besorgen ihre Kinder. Dieser Verlust der Selbstständigkeit macht der alten Frau zu schaffen, sie habe immer für sich selbst gesorgt, sagt sie stolz. „Ich bin wütend und traurig, dass in einem so großen Gebiet nichts für die Nahversorgung getan wird“, sagt sie.

Aldi hat Mitspracherecht

Aber wer kann überhaupt etwas tun? „Von politischer Seite den freien Markt zu beeinflussen, ist so gut wie unmöglich“, sagt Mustafa Güngör, Vorsitzender des SPD-Ortsvereins Osterholz und Mitglied der Bremischen Bürgerschaft. Er sagt, er hoffe dennoch, einen Einzelhändler zu finden, der wenigstens an einigen Tagen einen kleinen Laden öffnen würde.

Konkreter sind die Ideen von Ulrich Schlüter, Leiter des Orts­amtes Osterholz. Er hat mit der gemeinnützigen Mariebondo-Stiftung aus Osterholz-Scharmbeck gesprochen, die zwölf Supermärkte in Bremen und Niedersachsen betreibt, in denen auch Menschen mit Beeinträchtigungen arbeiten. Die Stiftung bezieht ihr Sortiment von Edeka, deshalb sind die Geschäfte teurer als Discounter. Maribondo habe sich vorstellen können, einen kleinen Markt neben dem ehemaligen Aldi zu eröffnen, erzählt der Ortsamtsleiter Schlüter.

Das Gelände gehört der Dr. Hübotter Wohnungsbau GmbH, die auf dem Grundstück eine Kindertagesstätte gebaut hat. Hübotter sagt, er wäre mit Maribondo einverstanden – aber Aldi stellt sich quer.

Verhandlung auf dem Rücken der Bevölkerung

Was viele im Stadtteil fassungslos macht: Dass das Unternehmen überhaupt Mitspracherechte hat. In den Kaufvertrag mit der Hübotter GmbH hat Aldi eine Klausel hineingeschrieben, nach der bis ins Jahr 2036 kein anderer Nahversorger ohne Aldis Einverständnis auf dem Gelände betrieben werden darf. Das bestätigt Klaus Hübotter.

Und das Unternehmen nutzt das aus. Die Erlaubnis für einen Maribondo-Markt macht Aldi nun davon abhängig, ob es die Genehmigung von der Stadt dafür bekommt, eine Filiale an einem anderen Standort in der Osterholzer Heerstraße zu erweitern.

Doch auf einen solchen Deal will sich die Stadt nicht einlassen. Zu dem Genehmigungsverfahren selbst könne er sich nicht äußern, sagt der Sprecher des Bausenators, Jens Tittmann. „Grundsätzlich bewertet die Stadt einen Bauantrag unabhängig von anderen Genehmigungsverfahren.“

Ortsamtsleiter schlägt Neubau vor

Tittmann gibt zu bedenken, dass die Erweiterung eines Ladengeschäfts das Potenzial hat, mehr Kunden zu binden. Langfristig könnte das dazu führen, dass andere Geschäftes aufgeben müssen – und die Einkaufswege sich verlängern. Wie in Tenever.

Und dann gibt es noch den Vorschlag des Ortsamtsleiters, ein neues Gebäude für einen Supermarkt zu bauen. Ein Standort, sagt Schlüter, sei gefunden, die Wohnungsbaugesellschaft Gewoba, der die Fläche gehört, ist einverstanden. Im Prinzip. Sie will aber erst bauen, wenn die Stadt ihr neues Zentren- und Nahversorgungskonzept vorgelegt hat, erklärt Ralf Schumann, bei der Gewoba zuständig für den Bereich Tenever.

Denn nach dem derzeit gültigen Konzept von 2009 könnte die Gewoba nur einen Markt mit einer Größe von bis zu 800 Quadratmetern bauen, was aber laut Schumann für Discounter heutzutage zu klein sei. Das Nahversorgungskonzept werde allerdings frühestens in einem Jahr fertig sein, sagt Jens Tittmann, der Sprecher des Bausenators.

Anna Zydronik bleibt erst einmal nichts anderes übrig, als auf unbestimmte Dauer ihre Kinder für sich einkaufen zu lassen. Oder umzuziehen.

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