Ausstellungsempfehlung für Berlin: Glücklich wohnen
Um Wohnen, Gentrifizierung und Verdrängung geht es in der Gruppenausstellung „Habitat Happy“. Die taz sprach mit der Künstlerin Laure Catugier.
Einen besseren Ort könnte man sich für „Habitat Happy“ kaum vorstellen. Die Galerie Neurotitan befindet sich inmitten eines der am massivsten gentrifizierten Gebiete der Stadt, dem Hackeschen Markt. Und um Gentrifizierung, Wohnen und Verdrängung, die Themen also, die Berlin momentan stärker bewegen als alle anderen, geht es auch in der von Annika Hirsekorn kuratierten Schau, in der künstlerische auf aktivistische Positionen treffen.
„Haunted Landlord“ (2017) vom Peng! Kollektiv kann man da etwa wiedersehen oder die Plakatkampagne „#Boycottairbnb“ (2016) von Rocco und seinen Brüdern.
Fast historisch mutet daneben „Land’s End“ an, eine Performance aus 2010, in der aus ausgebrannten Luxuslimousinen neu betextete Opernarien ertönen. (An Wochenenden im Hof zu sehen). Das Kollektiv KUNSTrePUBLIK führte sie damals auf dem Mauerstreifen nahe dem Spittelmarkt auf. Die Brachen von damals gibt es längst nicht mehr, dafür edle Townhouses und Büros.
Die Fronten haben sich verlagert. Und verschärft. Hier wie anderswo. In Moskau zum Beispiel, wo Igor Ponosovs aus Planen in Mauerwerkoptik, die sonst Baustellen abschirmen, als Cape tragbare Zelte schneiderte, um auf die Ausgrenzung Obdachloser hinzuweisen.
Abstrakter ist der Zugang Laure Catugiers zum Thema. In „Flowing Roofline“ imitiert sie Abreißzettel, wie man ihn von Laternenmasten kennt. Das darauf beworbene Gebäude hat jedoch weder Fenster, noch stimmen seine Perspektiven. Wer soll da noch wohnen?
Einblick (754): Laure Catugier, Künstlerin
taz: Welche Ausstellung in Berlin hat dich zuletzt an- oder auch aufgeregt? Und warum?
Laure Catugier: Im nbk gibt es gerade eine tolle Ausstellung über die konzeptuellen Künstler, die im Projektraum „A 37 90 89“ in Antwerpen zusammengearbeitet haben. Die grafische Schwarz-Weiß-Ästhetik der 1960er inspiriert mich sehr, besonders die Videos von Jef Cornelis.
Laure Catugier (1982, Toulouse, Frankreich) lebt und arbeitet in Berlin. Studiert hat sie an der École d’Architecture und der École des Beaux-Arts de Toulouse. 2016 erhielt sie den Celeste Prize. 2017 nahm sie am Goldrausch-Künstlerinnenprojekt teil. Ihre Arbeiten wurden seit 2013 in Berlin in der galerie weisser elefant und im Vesselroom Project; im Institut Français und im Onomato Kunstverein in Düsseldorf; in der Galerie Thaddeus Ropac in Paris; im OXO Tower in London und auf der Arte Fiera in Bologna ausgestellt. 2018 erhielt sie den Preis Jeune Création für eine Künstlerresidenz im Palais des Paris in Takasaki, Japan. Aktuell ist sie in einer Gruppenausstellung in der Galerie Neurotitan vertreten.
Welches Konzert oder welchen Klub in Berlin kannst du empfehlen?
Einen erstaunlichen Ort habe ich vor Kurzem in Kreuzberg entdeckt: die Filmkunstbar „Fitzcarraldo“. Man kann am Wochenende gleichzeitig Kunstfilme ausleihen und tanzen, da dann der Raum zum improvisierten Disco-Klub wird!
Welche Zeitschrift/welches Magazin und welches Buch begleitet dich zurzeit durch den Alltag?
Mein letztes Buch war eine Biografie des italienischen Architekten Carlo Scarpa. Ansonsten: Immer wenn ich das Berliner Magazin Stressfaktor in Kneipen oder Klubs sehe, blättere ich es automatisch durch, um die Stimmung der alternativen Szene zu messen. Ich finde es spannend, die Aktivitäten der Hausprojekte zu beobachten, die sich parallel zur Gentrifizierung entwickeln.
Was ist dein nächstes Projekt?
Ich bereite gerade eine Ausstellung im Japanisch-Deutschen Zentrum in Dahlem vor, wo ich einige Arbeiten zeige, die ich vor Kurzem während einer Kunst-Residency in Takasaki in Japan gemacht habe. Außerdem muss ich langsam meine Residency in St. Petersburg organisieren.
Galerie Neurotitan, bis 13. 01., Mo.–Sa. 12–20 Uhr, Rosenthaler Str. 39. Veranstaltungsprogramm unter neurotian.de
Welcher Gegenstand/welches Ereignis des Alltags macht dir am meisten Freude?
Wenn ich mit dem Fahrrad zu meinem Atelier nach Lichtenberg fahre, versuche ich unterschiedliche Wege zu nehmen, um Neues zu entdecken. Es gibt ständig Baustellen, die ich gerne nachts oder am Wochenende besuche.
Dieser Text erscheint im taz.plan. Mehr Kultur für Berlin und Brandenburg immer donnerstags in der Printausgabe der taz.
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