piwik no script img

„Kirche von Unten“

Keine Religion, aber dafür jede Menge Politik, Kultur- und Bildungsarbeit – die „Kirche von Unten“ im Stadtteil Prenzlauer Berg wird womöglich das nächste Opfer der Stadtumstrukturierung

Die Kirche von Unten

Die KvU hat ihr Zuhause in der Kremmener Str. 9–11.

Täglich Programm

Heute z. B. ab 16 Uhr gemeinsames Saubermachen, 18 Uhr Tischtennis-AG und um 19 Uhr Vollversammlung.

Im Netz

www.kvu-berlin.de

Der Name des Projekts „Kirche von Unten“ (KvU) verwirrt. Im Gegenteil zu ihrer Namensschwester aus Freiburg, einem ökumenischen basisdemokratischen Netzwerk, hat die Initiative aus Berlin-Mitte mit Religion nämlich überhaupt nichts am Hut. Statt um Müßiggang und Enthaltsamkeit geht es bei dem Berliner Projekt um Politik und Spaß. Denn die Berliner KvU, das ist ein linksalternatives Jugend- und Kulturprojekt. Doch woher der verwirrende Name? „Der Name hat historische Bedeutung“, sagt Benny Baupunq, Aktivist der KvU. So war die KvU ursprünglich eine politische Gruppierung der DDR, die sich Räume der Kirche erkämpfte und sie nutzte, um gegen die politischen und gesellschaftlichen Verhältnisse in Staat und Kirche zu protestieren.

Seinen subversiven Charakter hat sich das Projekt auch nach der Wende erhalten. Noch immer mischt sich die KvU in politische Debatten ein. Jedoch ist die politische Arbeit nur noch ein Aspekt des Projekts. Von ebenso großer Bedeutung ist die Kultur- und Jugendarbeit. Jugendlichen aus Berlin und Brandenburg bietet die KvU einen Raum, in dem sie sich treffen, ihren Interessen nachgehen, ihre handwerklichen Fähigkeiten erweitern oder einfach nur zusammen feiern können. Dabei folgt die KvU folgendem Grundsatz: „Wir sind selbstbestimmt, subkulturell, unkommerziell, undogmatisch, antifaschistisch und DIY“, sagt Baupunq.

In seiner derzeitigen Form existiert das soziokulturelle Projekt seit 20 Jahren. 1992 zogen die AktivistInnen der KvU aus ihren Räumen in der Gemeinde St. Elisabeth in das Erdgeschoss der Arkonahöfe in der Nähe der Bernauer Straße. Dort sind neben einem Veranstaltungssaal und einer Kneipe eine Werkstatt, ein Bandprobenraum und ein Büroraum mit Computern untergebracht. Außerdem beherbergen die bunt verzierten Räume diverse Freizeitangebote wie einen Kicker, eine Tischtennisplatte und ein Büchertauschregal, die allen BesucherInnen zur freien Verfügung stehen.

Genutzt werden die Räume von Theater-, Sport-, und Politikgruppen sowie von Kids aus der Nachbarschaft, die an den PCs im Internet surfen, in der Werkstatt basteln oder Partys organisieren können. Wie Baupunq berichtet, sei das Besondere an der KvU, dass dort kein Hausprojekt angeschlossen sei, was es viel einfach mache, sich einzubringen. Jeden Dienstag finde eine offene Vollversammlung statt, zu der jeder kommen könne, der Lust habe. Auch richteten sich viele der Angebote an Jugendliche, die sich zum Lernen treffen oder die Chance nutzten, ihre handwerklichen Fähigkeiten in den Bereichen Holz, Metall, Ton- und Lichttechnik sowie EDV zu verbessern. „Bei uns bekommt niemand etwas vorgesetzt, die Leute können machen, worauf sie Lust haben. Es gibt keine fixe Konzeption“, sagt Jolly, ebenfalls Aktivistin der KvU.

Über die Bildungs- und Kulturarbeit hinaus leistet die KvU auch politische Arbeit. Regelmäßig lädt das Projekt zu Diskussions- und Infoveranstaltungen. Themen waren dort unter anderem die Extremismusklausel, die Aufwertung der Berliner Innenstadt und Bands mit unklarem politischen Hintergrund. Die Veranstaltung über die sogenannten Grauzone-Bands führte die Gruppe durch, nachdem die vermutlich rechtsoffene Künstlerin Jenny Woo in dem Projekt gespielt hatte. Als das Guggenheim-Lab eröffnete, beteiligte sich die KvU am Protest, indem sie einen Infotisch vor den Toren des umstrittenen Diskussionsforums zur Berliner Stadtentwicklung postierte. Auch ist das Projekt in Mitte gut vernetzt. Wichtige Kooperationspartner sind unter anderem die Haus- und Kulturprojekte „Linie 206“, „Schokoladen“ und „Köpi“, Kiezinitiativen wie „Leute am Teute“ und politische Gruppierungen wie die „Freie ArbeiterInnen Union“. „Wir versuchen mitzumischen“, sagt Jolly.

Doch mit der vielseitigen Arbeit des Projekts könnte bald Schluss sein. Wie viele andere alternativen Projekten aus Berlin ist auch die Zukunft der KvU gefährdet. Der jetzige Eigentümer Michael F. Simoncic lässt zum 31. Dezember 2012 die befristeten Mietverträge auslaufen, dann soll die KvU raus aus ihrem Räumen. Der Grund: „Mehr Rendite“, vermutet Baupunq. Vom Vermieter selbst lag bis Redaktionsschluss keine Stellungnahme vor. Die KvU wird ihre Räume allerdings nicht kampflos aufgeben. Im Mai rief sie zusammen mit anderen subkulturellen Gruppen zu einer Kundgebung auf dem Boxhagener Platz auf. Im Herbst soll ein runder Tisch einberufen werden. Wie Baupunq berichtet, habe die Politik indes ihre Unterstützung signalisiert. „Den Politikern ist klar, dass der Bezirk weiter eingeht, wenn wir gehen“, sagt Baupunq.

Wer bei der KvU mitmachen möchte, muss einfach nur zur offenen VV kommen. Es besteht die Möglichkeit, eigene Projekte anzuschieben oder die Organisationsgruppe bei der Instandhaltung und dem Betrieb des Projektraums zu unterstützen. „Wir freuen uns über jeden, der vorbeikommt“, sagt Jolly.

LUKAS DUBRO

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen