: Soldat und Softie
Kreative verdanken ihm soziale Absicherung. Auch deshalb galt Helmut Schmidt bei seinem Sturz 1982 vielen als „Kanzler der Künste“
Von Alexander Diehl
Ist das schon Dekonstruktion, gar Denkmalsturz? Ja, vielleicht – für jene, die bei Helmut Schmidt vor allem ans Soldatische denken möchten, das Pflichtbewusste, zuweilen übermäßig Korrekte, wie sich's ja schon im strammen Scheitel gezeigt haben soll. Aber dieser Helmut Schmidt, er hatte eine weiche Seite, lesen wir – und die stellte er am ehesten aus, ging’s um die Kunst.
Beziehungsweise „die schönen Künste“, wie sie auftreten im Untertitel des Buches von Werner Irro, das jetzt die Helmut-und-Loki-Schmidt-Stiftung herausgegeben hat. Denn das ist ja weithin in Vergessenheit geraten: Am Ende seiner Amtszeit, 1982, war die Wahrnehmung des Sozialdemokraten als „Kanzler der Künste“ so exotisch nicht.
Irro erklärt das einerseits mit der Künstlersozialversicherung, die es nur geben dürfte, weil Schmidt diese Tugenden an den Tag legte, die ihm so gern nachgesagt werden. Dass vielerorts seine Rolle beim zähen Zustandekommen dieses sozialpolitischen Instituts unter den sprichwörtlichen Tisch fällt – es wird Schmidt weniger gestört haben als vieles andere, das so im Umlauf war und ist.
Sehr wohl gestört hat er sich dagegen am lange kaum zu erschütternden Bild des bloßen „Machers“ – „als hätte ich noch nie ein Buch geschrieben“, zitiert Irro einen 1975 in der Zeit dokumentierten Ausbruch Schmidts im kleinen Kreis. „Als hätte ich nicht in Hunderten von Reden und Aufsätzen beigetragen zur vertieften Analyse und zur Substanz unserer Politik!“ Fürs Analysieren und, noch wichtiger, das Vortragen dieser Analysen fand sich dann ja noch Gelegenheit – auch als Elder Statesman der Zeit.
Noch etwas Störendes: Als er auf Willy Brandt folgte, hinterließ dieser mächtig große Spuren – was die Rede angeht von der Wichtigkeit der Kunst; auch war der Vorgänger enorm beliebt gewesen unter Kunstschaffenden. Neben Schmidts, siehe oben, sehr viel konkreterer Politik machte ihn dann noch etwas anderes zum „Kanzler der Künste“: Stellte sich Nachfolger Helmut Kohl (CDU) erst mal eine Deutschlandfahne ins Büro (und ein Aquarium), hatte das Ehepaar Schmidt Kunst und Künstler ins Kanzleramt geholt; am deutlichsten sichtbar, klar, Henry Moores Skulptur „Large two forms“ (1979) draußen auf dem Rasen. Und drinnen? Hängte und stellte man ausdrücklich solche Maler und Bildhauer, die dem NS-Regime als „entartet“ gegolten hatten – nicht ganz ohne das Kalkül, den Bogen zu schlagen zum Deutschland vor dem Sündenfall, sozusagen. Auch Konzerte richteten Schmidts aus, noch im Palais Schaumburg: Klassik und Romantik, wie Schmidt sie liebte und auch selbst spielte.
Der eigentliche Buchtitel entstammt einem Brief, den Schmidt 1968 an Siegfried Lenz schrieb. Da hatte er gerade „Die Deutschstunde“ gelesen, Lenz’fiktionalisierte Befassung mit dem Maler Emil Nolde und dessen innerem Exil während des „3. Reichs“, mit Schuld und – Pflichterfüllung. Ach, ja: Dass Nolde zu Schmidts Lieblingskünstlern gehörte, dass er das Gemälde „Meer III“ vom Amtsschreibtisch aus stets im Blick hatte: Das haben wohl sogar die mitbekommen, denen Schmidt vor allem soldatisch war, „Macher“ und überkorrekt.
Werner Irro: „‚Mit großem Vergnügen und mit tiefer innerer Zustimmung …‘ – Helmut Schmidt und die schönen Künste“. Edition Temmen 2018, 152 S., 14,90 Euro
Buchvorstellung mit Kultursenator Carsten Brosda (SPD): 7. Februar, 18 Uhr, Hamburg, Staats- und Universitätsbibliothek
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