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Wolfgang Schüssels politische Uhr läuft ab

Österreichs Bundeskanzler schwächelt und mit ihm die Regierungspartei ÖVP. Jetzt holt den Kanzler auch nocheine lästige Debatte über die Steuerreform ein. Parteigenosse fordert Generationswechsel bei den Konservativen

Schüssels Beliebtheitswerte befinden sich zuletzt deutlich im Sinkflug

WIEN taz ■ „Schüssels Zeit ist vorbei.“ So zitiert die Tiroler Tageszeitung in ihrer Montagausgabe Bundeskanzler Wolfgang Schüssels Vorgänger als ÖVP-Obmann, Erhard Busek. Der Kanzler wirke müde, meinte er. Es sei Zeit für einen Generationenwechsel. Zwar stellte Busek nach dem ersten Wirbel um das Interview klar, er habe dem Kanzler keineswegs den Rücktritt nahe gelegt. Dennoch lassen einige seiner Bemerkungen an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig.

Busek, der als Sonderbeauftragter der EU für Mittel- und Osteuropa abseits der Tagespolitik steht, kann laut sagen, was sich andere in der Partei nur denken. Schüssel, der in der ÖVP als sakrosankt galt, seit er es schaffte, sich durch eine Koalition mit Haider vom dritten Platz ins Kanzleramt zu katapultieren, steht nicht mehr über der Kritik.

Auch sonst läuft es in letzter Zeit für den Wendekanzler nicht so rund wie gewohnt. Seine Bemerkung in der FAZ, die Deutschen seien schuld an der Arbeitslosigkeit in Österreich hat unerwartet viel Spott und Entrüstung ausgelöst. Außerdem wird sie durch Zahlen und Fakten widerlegt. Erhard Busek kann sich nur wundern: „Das ist purer Populismus, das hat der Wolfgang doch gar nicht nötig.“

Schüssels Versuch, Österreich als das bessere Deutschland darzustellen und sich als Architekt eines relativen Wirtschaftswunders zu präsentieren, hat nicht den gewünschten Effekt hervorgebracht. Nicht einmal Bundesgeschäftsführer Reinhold Lopatka, die treue Stimme seines Herrn, konnte die Behauptung, Deutsche kämen ins Land, um hier Arbeitslosengeld zu kassieren, inhaltlich verteidigen.

Ein Jahr vor den nächsten Nationalratswahlen schwächelt die ÖVP sichtbar. Das kann man auch daran erkennen, dass sie sich von einer von Jörg Haider angezettelten Steuerreformdiskussion anstecken ließ. Während sonst in der größeren Regierungspartei niemand dem Kanzler widerspricht, ließen sich diesmal prominente Parteifunktionäre mitreißen.

Schüssel behagt die Diskussion nicht, denn erst mit Jahresbeginn ist die jüngste Steuerreform der Regierung in Kraft getreten. Diese gelte es dem Wähler zu verkaufen, bevor über neue Pläne spekuliert wird. Kein leichtes Unterfangen. Denn für Normalverbraucher sind die positiven Effekte dank höherer Energiekosten und steigender Belastungen im Sozialbereich längst verpufft. Außerdem herrscht in drei Bundesländern Wahlkampf.

So kann sich die steirische Landeschefin Waltraud Klasnic vorstellen, die Mehrwertsteuer auf Treibstoff auf zehn Prozent zu halbieren, solange die Rohölpreise steigen. Wirtschaftssprecher Günther Stumvoll wünscht sich eine Kommission, die neue Steuersenkungen prüfen soll. Und selbst der sonst zu disziplinierte Fraktionschef Wilhelm Molterer ließ sich in einem Interview dazu hinreißen, die Verminderung des Spitzensteuersatzes anzudenken.

Damit traf er einen wunden Punkt der Fiskalpolitik seiner Partei. Die ÖVP, die traditionell für den gehobenen Mittelstand steht, hat zuletzt vor allem Großkonzerne entlastet und die Beamten geschont. Ihre eigentliche Klientel, die gut verdienenden „Leistungsträger“, tragen die schwerste Steuerlast. Das Machtwort sprach diesmal nicht Schüssel, sondern Finanzminister Karl-Heinz Grasser. Der erklärte Dienstag, vor dem für 2008 angepeilten ausgeglichenen Haushalt könne man sich eine neue Steuerreform nicht leisten.

Wolfgang Schüssel wirkt in letzter Zeit tatsächlich müde und gereizt. Seine persönlichen Beliebtheitswerte waren nie hoch. Doch zuletzt befinden sie sich deutlich im Sinkflug. Die ÖVP liegt in den Umfragen vier bis sechs Punkte hinter den Sozialdemokraten, die auch alle Regionalwahlen der vergangenen Jahre gewonnen haben.

Das Gedenkjahr, in dem 60 Jahre Kriegsende, 50 Jahre Staatsvertrag sowie zehn Jahre EU-Mitgliedschaft begangen wurden, hat dem Kanzler trotz zahlreicher Gelegenheiten für staatstragende Auftritte nicht den entscheidenden Auftrieb vor dem Wahljahr gebracht. Die Feierstimmung wurde durch Nazi-Rülpser beim Koalitionspartner überlagert.

Auch die EU-Ratspräsidentschaft, die Österreich im ersten Halbjahr 2006 übernimmt, wird kein Honiglecken. Neben schier unlösbaren Aufgaben bei der Finanzierung der Union und der Bewältigung der Verfassungskrise drohen neue Querschüsse von Haider & Co. Für Schüssel-Kritiker Busek gleicht das BZÖ, das vor allem aus früheren freiheitlichen Ministern und Abgeordneten besteht, „einer Dame ohne Unterleib“. Nach der nächsten Wahl kann er sich eine Neuauflage dieser Koalition nicht vorstellen. Er wünscht sich Schwarz-Grün. Da müsste aber in der ÖVP ein „Generationenwechsel“ stattfinden. RALF LEONHARD

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