Zwei Stunden Flanieren in Mitte: Ein klarer Gewinn an Lebensqualität
In der Friedrichstraße stehen viele Geschäfte leer. Eine Bürgerinitiative will das ändern – und rief eine Fußgängerzone aus – aber nur auf Zeit.
Die Friedrichstraße – schmale Gehwege, Verkehrslärm und schlechte Luft durch ständigen Stau. Wohl kaum eine Straße lädt weniger zum Flanieren ein als die 3,3 Kilometer lange Straße im historischen Zentrum der Stadt. Doch am Samstag war, zumindest für zwei Stunden, alles anders. Kinder spielten auf der Fahrbahn, Hunderte Menschen spazierten über den Asphalt, und der Verkehr war nur als leises Rauschen aus den Nebenstraßen zu vernehmen.
Ermöglicht wurde dies durch die Initiative „Stadt für Menschen“, die zwischen 13 und 15 Uhr die sogenannte Flaniermitte ins Leben rief. Um das zu realisieren, meldeten die Verantwortlichen eine Demonstration an und ließen die Friedrichstraße zwischen Kronen- und Taubenstraße für Autofahrer sperren. Das Ziel sei gewesen, den Menschen zu zeigen, „wie schön die Friedrichstraße ist, wenn sie den Menschen zur Verfügung steht“, wie Matthias Dittmer vom Team hinter „Stadt für Menschen“ erklärte.
Neben dem Genuss des freiheitlichen Gefühls, das man als Passant auf der 15 bis 17 Meter breiten Straße empfindet, standen aber auch noch weitere Punkte auf dem Programm. Den Mittelpunkt bildete die sogenannte Speakers Corner, die geladenen Gästen sowie allen anderen die Möglichkeit gab, über die Zukunft der Friedrichstraße und die Stadtentwicklungs- und Verkehrspolitik im Allgemeinen zu diskutieren.
So debattierte Mittes Bezirksbürgermeister Stephan von Dassel angesichts des massiven Leerstands und der zunehmenden Sorgen der Einzelhändler unter anderem mit dem im Bezirksparlament von Mitte sitzenden Bastian Roet (FDP), über die Möglichkeiten der Politik, die Friedrichstraße als Einkaufsmeile wiederzubeleben. Während von Dassel der Überzeugung ist, die Einführung einer Flaniermeile sei die „einzige Möglichkeit“, die Friedrichstraße für Shoppingfans zu reaktivieren, meinte der FDP-Abgeordnete, man bräuchte vor allem ein „Gesamtkonzept“, um die Situation für Anwohner und Gewerbetreibende angenehmer zu gestalten. Es reiche eben nicht, „einfach nur die Friedrichstraße dichtzumachen“.
„Rückfall in die 1970er Jahre“
Ob die Friedrichstraße zu einer Fußgängerzone werden soll, wurde unter allen Anwesenden kontrovers diskutiert. Für Detlef Müller, der für Greenpeace vor Ort war, ist die Sache eindeutig: „Eine autofreie Friedrichstraße wäre ein ganz klarer Gewinn an Lebensqualität.“ Denn es gäbe nicht nur weniger Autoabgase und Lärm, sondern auch „mehr Platz für Grün“, wie er betont.
Ganz anders sieht das Passantin Teresa Träuber, für die großflächige Fußgängerzonen „ein Rückfall in die 1970er Jahre“ bedeuten würden. Auch ein älterer Herr ist gegen eine Flaniermeile in der Friedrichstraße, der Gendarmenmarkt direkt um die Ecke reiche doch zum Flanieren, wie er sagt.
Kurz vor Schluss trifft überraschend der designierte Mitarbeiter der Senatskanzlei, Jens-Holger Kirchner (siehe Seite 21), ein. Als er vor der versammelten Menge die Flaniermitte als „wichtiges Referenzprojekt“ lobt, bricht großer Applaus aus. Es sei gut, dass der Berliner sehe, dass die Welt auch ohne Autoverkehr in der Friedrichstraße „nicht zusammenbricht“.
Matthias Dittmer ist optimistisch, dass die Flaniermitte nur der Anfang war. Er erklärt lachend, die erste Straße sei eine Revolution, bei der dritten Straße gehe es schon ganz von selbst.
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