piwik no script img

Das Charisma der Wodkaflasche

OZEANISCHE KLÄNGE Die kanadische Indie-Rock-Band Islands gab im HBC ein mitreißendes Konzert. Auf Klappstühlen sitzend verfolgte das Publikum, wie sich Frontmann Nicholas Thorburn vom zurückhaltenden Sänger in einen wilden Entertainer verwandelte

Das HBC ist ein angenehmer Laden, in den Fenstern spiegelt sich die neonbunte Deckenbeleuchtung über dem Fernsehturm, der Raum ist geräumig und offen, an der Bar gibt es fünf verschiedene Biersorten, von denen die beste leider nicht mehr vorrätig ist, und die Toiletten haben mehrere Kabinen und eine modern-antike Händewaschgelegenheit.

Aber das ist nicht das, was es zu berichten gibt. Zu berichten gibt es, dass es auch einen kleinen Kino- und Theatersaal gibt, bestückt mit Klappstühlen, in dem am Montagabend vor definitiv zu wenigen Gästen (obwohl, die Klappstühle waren alle besetzt) ein Konzert stattfand: Islands spielten auf.

Islands? Kennt wieder keiner. Ein Fall für die Zeitmaschine. Nämlich Islands, vormals Unicorns, aus Montreal, Kanada, jetzt L.A., sind eine leider leicht verspätete Antwort auf Weezer und Pavement, sehr verrückter Indiepop kanadischer Machart, mit Charme und Humor und dem Charisma des Frontmanns und Banddiktators Nicholas Thorburn mit Hang zur Wodkaflasche. Thorburn, ein Typ, für den das Wort Schlaks erfunden werden müsste, gäbe es das nicht schon; in seiner angenehmen Bühnenpräsenz auch tatsächlich eine Mischung aus Stephen Malkmus und Dirk Darmstaedter (Jeremy Days, die Älteren erinnern sich vielleicht).

Ozeanische Surfgitarre

Seine neue Begleitband – Thorburn scheint seine Musiker auszutauschen wie andere ihre Simkarten – besteht aus den Disko-Brüdern von The Magic, erst im Vorprogramm und dann an Gitarre und Bass, sowie einem gemütlichen Schlagzeuger namens Luc Laurent. Echte Musiker, das ist schnell zu merken, besonders bei Evan Gordon (nicht zu verwechseln mit dem Basketballspieler und auch nicht mit Ewan McGregor) spielt eine auch mal ozeanisch klingende Surfgitarre und kann auch Klavier.

Thorburn scheint sich für das wohlfeile Songwriting entschieden zu haben, für angenehme Mitttempo-Nummern mit Ausblick auf die kalifornische Küste. Das Durchgedrehte und absurd Komische, auch mal ins Artrockige Abdriftende des ersten Albums von 2005, es hieß „Return to the Sea“ und hatte das Eismeer von Caspar David Friedrich auf dem Cover, scheint Vergangenheit zu sein. Und in diesem einschläfernden Tempo versinkt die Band allmählich wie die jungen Zuhörerinnen in ihren Klappstühlen.

Die Atmosphäre war ja auch dementsprechend. Die Band war fast nackt. Nackt und nah. Nichts lenkte das Auge ab, weder rempelnde Mitgäste auf dem Weg zur Bierbank und zurück, noch irgendeine Lichtschau.

Fast ein tobender Mob

Der kleine Bassist Geordie Gordon, Bruder von Evan, trainierte seine Halsmuskulatur mit ständigen Kopfbewegungen, Luc Laurent übte seinen Hundeblick. Evan Gordon, ein kleiner Soulrocker, kann lustiger tanzen als Thorburn, der es erst gar nicht versuchte. Und gute Schuhe hatten alle vier an – dazu bunte Strümpfe. Es hätte ewig so weiter gehen können mit dahinschmelzenden Liebesliedern, und irgendwann wäre dann der große Schlaf gekommen wie bei Raymond Chandler.

Aber dann wirkte endlich der Wodka. Oder Thorburn hatte plötzlich doch Lust, den Entertainer zu machen. Die Leute waren schließlich wegen ihm da. Gleich zog das Tempo an, die Nummern wurden besser, „Bones“ und „Swans“ vom Debüt wurden gespielt, auch das jüngere „Tender Torture“ ist ein gutes Stück. Thorburn, dessen Charakteristikum seine einzigartige Stimme ist und dessen Publikum zu anderer Zeit eben auch ein tobender Mob hätte sein können, flachste mit sich selbst, den Mädchen in der ersten Reihe und seinem Schicksal: „Fucking is so sad these days.“ Und singt: „I miss my home, my bed, my ex-wife.“

In der Zugabe gab es noch ein Cover der Zombies. Ein prima Abend. RENÉ HAMANN

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen