: „Kinder können dem Kopftuch entfliehen“
Lehrerinnen dürfen kein Kopftuch tragen, Kindergärtnerinnen schon. Ein Präzedenzfall könnte das ändern
BERLIN taz ■ Der Bürgermeister einer baden-württembergischen Kleinstadt hat eine Kindergärtnerin zwangsweise beurlaubt, weil sie plante, mit Kopftuch zum Dienst zu erscheinen. „Eine Stadt, die bisher gute Integrationsarbeit geleistet hat, reißt jetzt alles kaputt“, sagt Brigitte Keyl dazu, die selbst zehn Jahre im Ebersbacher Gemeinderat tätig war. Keyl ist enttäuscht von ihren Nachfolgern im Rat von Ebersbach. Die nämlich entschieden, dass die 31-jährige Muslimin, die nach acht Jahren Erziehungsurlaub wieder als Erzieherin arbeiten wollte, dies nicht darf, solange sie vorhat, dabei ein Kopftuch zu tragen. Bürgermeister Edgar Wolff setzte den Beschluss am Montag um. Die türkischstämmige Kinderpflegerin soll noch in dieser Woche die fristlose Kündigung erhalten.
„Der betriebliche Frieden darf nicht gefährdet werden. Wir sollten den Kindern keine islamischen Werte im Kindergarten vermitteln“, sagte Bürgermeister Wolff. Er berief sich auf das baden-württembergische Schulgesetz, das muslimischen Lehrerinnen seit 2004 verbietet, im Unterricht ein Kopftuch zu tragen.
Die Landesregierung sieht im Schulgesetz keine Grundlage für ein Verbot auch in Kindergärten. „Das Kopftuchgesetz gilt ausschließlich für staatliche Schulen“, so der Sprecher des Bildungsministeriums, Elmar König. Kindergärten seien zwar Bildungsinstitutionen, würden aber keine Staatsbeamten beschäftigen. Und es gebe auch keine Pflicht, sie zu besuchen. „Die Kinder könnten also theoretisch dem Kopftuch entfliehen“, sagte er. Dennoch begrüße das Ministerium das Vorgehen.
„Es geht um das Vorbild als Erzieherin“, meint Marcus Elvert, dessen Kind den betroffenen Kindergarten besucht. Er behauptet, dass die Erzieherin den Kindern den islamischen Glauben nahe bringen will.
Von der Anwältin der Betroffenen, Sylvia Aldinger, wird dies heftig dementiert. „Meine Mandantin will niemanden missionieren.“ Dass die Kinderpflegerin vor ihrem Erziehungsurlaub noch kein Kopftuch trug, habe ausschließlich religiöse Gründe. Sie trage es aus Dankbarkeit, da eines ihrer Kinder nach einer schweren Krankheit wieder gesund wurde. „Sobald wir die Kündigung haben, reichen wir Klage ein.“ Es gebe keine Rechtsgrundlage für die Kündigung, zudem sei die Dienstanweisung der Stadt grob rechtswidrig.
Der Kopftuch-Streit an der Schule wurde letztlich per Gesetz entschieden. Dass dies so bald auch für Kindergärten geschieht, ist unwahrscheinlich. Im Bildungsministerium zumindest zweifelt man daran. Vor den Landtagswahlen im kommenden Frühjahr werde wohl keines verabschiedet, hieß es.
KATHARINA RALL
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