Neues Album von Bilderbuch: Update mit Sandwishes
Größter Pop-Appeal seit Falco: Bilderbuch aus Wien hat überraschend ein neues Album veröffentlicht. Es ist vielseitig, verspielt und groovt.
„Ich glaube an ein Leben, nicht auf dieser Welt. Ich glaube an Peace, ich glaub’, ich glaub’ an Geld. Ich glaub’ an das Internet, ich glaub’ an deinen Ass. Ich glaube an die Liebe, ich lieb’ mich meistens selbst.“ Wer kann so was texten, wer kann so was singen? Nur einer: der supersmarte, supersexy Maurice Ernst von der Band Bilderbuch. Es sind die ersten Zeilen von „Taxi“, Track Nummer zwei auf dem eben erschienenen fünften Album von Bilderbuch.
In der digitalen Welt der Networks, durch die Ernst mit seinen Sehnsüchten, dem Geld und deinem Ass verbunden ist, liegt Popmusik auf einem Server. Sie schwebt in der Cloud und wartet darauf, dass jemand sie will.
Dann lässt sie sich streamen und downloaden. Und ist auch schon drin im Ohr ihrer Konsumentin, die mit dem Smartphone in der U-Bahn sitzt. Dem Wunsch, zu hören, folgt sofortige Erfüllung. Dazwischen: ein Klick und ein bisschen Buffering.
Popmusik hat immer vom grellen Effekt des Neuen, Überraschenden gelebt, aber noch nie war sie so schnell zu haben. Das hat einige Superstars in den USA dazu gebracht, so zu tun, als seien sie keine, indem sie ankündigungslos ganze Alben online stellen. Millionenetats für Werbung? Brauchen sie nicht, sie kommunizieren ja via Instagram direkt mit ihren Fans.
Der Stress der super rich kids
Bilderbuch sind keine Superstars, aber sie müssten längst welche sein. Sie sind die deutschsprachige Band mit dem größten Pop-Appeal seit Falco. Bilderbuch sind die reine Gegenwart, und sie sind aus Wien. Letzte Woche haben sie es wieder getan: Von einem Tag auf den anderen war ein neues Album da.
Auf „Mea Culpa“ kultiviert Maurice Ernst, der seine ikonischen wasserstoffblonden Haare jetzt schockierend schwarz gefärbt hat, seine von Falco inspirierte Kunstsprache. „Heute ist ihr Display so schwarz. So schwarz so Samt wie ihr Haar“, singt er. Dann kommt der Refrain: „Super rich kids haben Stress. Wir haben Sandwishes, Sandwishes, Sandwishes.“
Empfohlener externer Inhalt
Von Falco hat Ernst auch gelernt, dass zu einer korrekten Performance die richtigen Moves gehören. Drummer Philipp „Pille“ Scheibl hat seinen R&B mit Breakbeats getunt, manchmal klingt das wie Grime. Bassist und Keyboarder Peter Horazdovsky spielt tropikalistische Jazzharmonien. Und Gitarrist Michael Krammer alias Mizzy Blue ist funky wie eh und je. Krammer jagt die Guitar durch digitale Filter.
„Mea Culpa“ klingt wie das Update der Vorgängeralben „Schick Schock“ und „Magic Life“, die einigen Aufruhr verursacht haben. „Schick Schock“ knüpfte an New Wave an und formulierte zugleich eine mitteleuropäische Idee von R&B. In Österreich schaffte es das Album auf Platz eins. Zu Recht. In Deutschland, dem Land der Wappler mit einem Faible für Kitsch und Gangsta Rap, kam man immerhin bis auf Platz 14.
Männlich, aber unpenetrativ
Vor einem Jahr folgte „Magic Life“, das so klang, wie es klingen müsste, wenn Prince ein sexy Österreicher mit blondierten Haaren wäre. Darauf die Single „Bungalow“, die eine Zeit lang im Radio rauf und runter lief mit den grandiosen Zeilen, die inzwischen jede mitsingen kann: „Baby, leih mir deinen Lader, gib mir Power für mein Akku, ich brauch mehr Strom!“
Als Bilderbuch „Magic Life“ in der Berliner Volksbühne zum ersten Mal öffentlich vorstellten, waren die Frauen vorbereitet. Sie warfen weiße Ladekabel auf die Bühne.
Bilderbuch: "Mea Culpa" (Maschin/Universal)
Die Figur, die Maurice Ernst in seinen Songs und auf der Bühne gibt, ist männlich, aber unpenetrativ. Sexy und romantisch, aber auch williges Objekt fürs Begehren der Anderen. Der Klosterschüler aus der österreichischen Provinz stellt das traditionelle Machtverhältnis von männlichem Blick und weiblichem Objekt der Begierde auf den Kopf. Auf „Schick Schock“ singt er: „Sag es laut: Du bist hinter meinem Hintern her!“
Bei Konzerten singen die weiblichen Fans der Band diese Stelle extra lautstark mit. Die wissen, was sie wollen. Auch auf „Taxi“ vom neuen Album hat „sie“ das Heft in der Hand: „Sie ist online, immer online, aber kein Wort, nein.“ Der grüne Punkt der digitalen Anwesenheit leuchtet, aber die Angebetete schweigt. Der Minnesänger ruft ein Taxi.
An anderer Stelle formuliert Maurice eine kleine Soziologie der Teenagerliebe im digitalen Zeitalter: „Man sagt, Jungs, wollen Beziehung mit distance shit. Mädels wollen Beziehung mit Internet. Im Internet.“
In Zwischenspielen gibt es schrägen Jazz. Es gibt Gastauftritte von Rappern auf Portugiesisch, extrem hart abgemischte Streicher, Polizeisirenen. Die neun Songs von „Mea Culpa“ sind vielseitig, überraschend, verspielt und trotzdem immer auf dem Punkt. Sie grooven, sie machen gute Laune. Musik für eine neue Generation, bei der auch die Alten sofort mitsingen können. Das ist Pop. Ob mit oder ohne Internet.
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