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Im Vorgarten der Lüste

Alexander Riemenschneider erinnert mit seiner „Entführung“ daran, dass Mozart ein Zeitgenosse des Marquis de Sade war, hegt seine Vision aber unpassend ein

Konstanze-Nerita Pokvytyte macht rum, Konstanze-Stephanie Schadeweg hat besseres zu tun Foto: Landsberg/ Theater Bremen

Von Benno Schirrmeister

Was völlig klar ist, woran Alexander Riemenschneiders Inszenierung von Mozarts „Entführung“ keinerlei Zweifel lässt: Konstanze und Bassa Selim haben eine Beziehung. Jawoll, Konstanze, die Beständige, die doch mit ihrem designierten Befreier Belmonte verlobt ist! Und diese Beziehung geht klar über die des Besitzens – Bassa hat das spanische Edelfräulein zusammen mit Zofe Blonde und Diener Belmonte von Piraten als Sklavin gekauft – hinaus. Es ist eine wechselseitige Beziehung, körperbetont, gewaltförmig, mit Bondage, mit Schlägen. Liebe? Ach, eher ist es etwas rein Physisches.

Aber die erotische Annäherung, die Riemenschneider am Goetheplatz aus der Begegnung zwischen dem unumstrittenen Herrscher in dem Etablissement namens „Serail“ und der jungen Frau liest, hat niemand erzwungen. Alexander Swoboda verleiht der Sprechrolle des Bassa Selim eine katerhaft verspielte Männlichkeit, die sich unwiderstehlich weiß – und die es umso mehr genießt, wenn Nerita Pokvytytes Sopran seine Krallen ausfahren lässt. Die wirken in ihrer ersten Arie – „Ach ich liebte, war so glücklich“ – passenderweise (und an der Grenze zum Unschönen) echt stählern: Autsch! An solchen sexy Spitzen kann sich selbst ein Pascha richtig ein bisschen verletzen.

„Ihr Schmerz, ihre Standhaftigkeit bezaubern mein Herz immer mehr“, schnurrt Swoboda. Charmant! Er schüttelt leicht ungläubig den Kopf, lächelt in sich hinein, lässt die Peitsche ein letztes Mal gedankenverloren über seinen Unterarm gleiten. „Zwischen den Arien“, so hatte der bedeutende französische Intellektuelle Philippe Sollers einmal die dramaturgischen Möglichkeiten der Mozart’schen Nummernopern taxiert, „hält alles an und man liest laut Passagen von de Sade vor“ – eine Idee, aus der damals ein tolles Radiokunstwerk wurde. Nicht unähnlich macht es Riemenschneider: Jetzt nämlich trägt die andere Konstanze, Stephanie Schadeweg, denn die vier „Spanier*innen“ sind durch Sänger*innen und durch Schauspieler*innen zweifach besetzt, die Konstanze also, die nur spricht, trägt jetzt eine Passage aus Arthur Schnitzlers Traumnovelle vor.

Die motiviert nicht nur diese Verdopplung der Partien, mit der sich die Regie Raum verschafft, die widerstrebenden Sehnsüchte der Personen auszudrücken. Sondern sie führt die Inszenierung auch direkt hinein in ein Paradies der Sinnlichkeit, „nicht orientalisch, auch nicht eigentlich altdeutsch“, wie es bei Schnitzler heißt, aber doch beides zugleich, und das im Operntextbuch bestenfalls angedeutet wird: Marsch, hinein in den Darkroom des Begehrens, erregende Martern aller Arten inklusive.

Und das ist nur gut. Denn die Musik will das. In der Partitur mit ihren schroffen Wechseln der Geschlechter und ihrer rousseauistischen Tendenz, das Primat der Harmonielehre zugunsten der Melodie einfach mal abzustreifen, spielen Lüste und deviantes Begehren unverkennbar eine Rolle. Und war es nicht Mozart, der gegen seine zweitklassigen Librettisten dem Harems-Boss und der geklauten Braut eine gemeinsame Szene durchgesetzt hat, in der sich erst die Ambivalenz ihres Verhältnisses entfaltet? Na also.

Außerdem: Dieser Regie-Zugriff vermag ihr den ganzen konventionellen Orientalismus auszutreiben, die Handlung aus ihrem linearen Korsett zu lösen und das Geschehen in einen von Jan Štěpánek eingerichteten zeitlosen Nicht-Ort anzusiedeln: Einem Gelass so geschmacklos, wie es nur in Träumen vorkommt, mit hässlichen Kunstledercouches und brauner Tapete mit aufgedruckten, kunstseidenen Vulven in Pink, die vielleicht gern Rosen geworden wären. Oder umgekehrt.

In der Partitur spielen Lüste und deviantes Begehren unverkennbar eine Rolle

Letztlich bedeutet das, sich für die Opern-Inszenierung auf Mozarts Zugehörigkeit zum Jahrhundert der Libertinage zu besinnen. Das ist kein wirklich neuer, aber ein schlüssiger Weg: Er hätte sich selbstbewusst formulieren sollen, statt sich durch eine Bühne-auf-der-Bühne-Konstruktion abzusichern. Die aber wirkt unpassend wie ein druckimprägnierter Jägerzaun rund um den Garten der Lüste: „Wir zeigen eine Feier unter Freunden, die sich aus einem Vergnügen heraus gegenseitig ‚Die Entführung aus dem Serail‘ vorsingen“, beschreibt Riemenschneider diesen Versuch, das Visionäre einzuhegen, der seiner Zugänglichkeit natürlich in keinster Weise hilft. Ihm ist eine klägliche Party-Pantomime während der Ouvertüre geschuldet, die wie der Rest der Partitur von den Philharmonikern unter Hartmut Keil ohne besondere Vorkommnisse oder eigene Akzente absolviert wird.

Gesanglich ist auch nicht alles Gold: Mit manchmal fast schon zu zartem Schmelz singt Hyojong Kim den alles andere als selbstgewissen Helden Belmonte, der mit seinem Double Ferdinand Lehmann tolpatschig die Befreiungsaktion vermasselt. Ex-Bariton Christopher Heinrich verleiht dem cholerischen Osmin zwar auf tolle Weise die unangenehme Präsenz eines Nazi-Türstehers, wirkt aber von den extremistischen Tiefen der Partie leicht überfordert. Kaum bleibenden Eindruck hinterlassen die Soli von Iryna Dziashko als Blonde und Joel Scott als Pedrillo. In den Quartetten aber, und noch mehr und am schönsten im Männer-Terzett, das den ersten Akt beschließt, bricht die Intensität der Gefühle durch: „Ich schlage drein“, singt Osmin von ganz hinten oben. „Wir gehn hinein“, antworten Pedrillo und Belmonte an der Rampe.

Und mehr muss nicht sein an Vorlage, um im Gesang Anziehung, Hass und Spannung zu erwecken. Zwischen Kim, Scott und Heinrich tobt hier ein offener Kampf ums Recht auf Liebe. Und für die Befreiung der Lust.

Nächste Aufführungen: 11. und 14. 12., 19.30 Uhr, sowie am 22. 12., 18 Uhr, Theater am Goetheplatz, Großes Haus

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