„Climax“ von Gaspar Noé: Irre Tanzchoreografien auf Droge
Gaspar Noé will in seinem jüngsten Spielfilm „Climax“ allein in Bildern denken. Die Kamera lässt er dabei vollkommen die Balance verlieren.
Psyche (Thea Carla Schott) ist der Name einer jungen Tänzerin. Sie spricht Englisch und ist hier in der Minderheit. Doch wird sie wie alle ihren Teil zum Höhepunkt beitragen. In Gaspar Noés neuem Film, „Climax“, feiert sie gemeinsam mit ihrer Tanztruppe die Endprobe eines neuen Stücks und dreht auf Drogen völlig durch. Schauplatz ist die Turnhalle einer französischen Schule, und es gibt auch ein Kind, das eine wichtige Frage stellen wird: „Wie heftig kannst du lachen?“
In Noés Film kommt die Sprache nur selten nach, selbst in ihren wildesten Ausformungen. Herumschreien und harte Gewaltrhetorik tun sich schwer, mit den unberechenbaren Bewegungen der hippen Horde mitzuhalten. Als Affront gegen politische Realitäten herrscht über die sonderbaren Windungen dieses Films letztlich nur die entfesselte Kamera. Gaspar Noé und sein Kamermann Benoît Debie wollen in Bildern denken.
Am Anfang steht eine Zäsur, ein Prolog wie eine Mauer: Noé zeigt das Ende zuerst, ähnlich wie in „Irreversible“. Dann türmen sich filmische Verweise auf die Geschichte des extremen Kinos als VHS-Kassetten in einem Regal. Sie rahmen einen kleinen Monitor.
Im Bild wird gesprochen, über Kunst und die Grenzen des Machbaren. Die teilnehmenden Tänzerinnen und Tänzer sollen in einer Castingsituation erzählen, wie weit sie für ihre Visionen und ihre Karriere gehen würden. Manche haben schon erlebt, dass der Kulturbetrieb übergriffig sein kann. Andere wollen sich erst noch erforschen, Betrieb hin oder her, mit allen Mitteln.
Freude an Schabernack und an der Geschmacklosigkeit
Eine lange Einstellung, die neben der Einführung aller Beteiligten Gesichter genug Zeit bietet, Filmtitel von Pier Paolo Pasolini, Lucio Fulci oder Andrzej Żuławski zu studieren – und darüber zu grübeln, warum Noé sich in „Climax“ filmhistorisch ein weiteres Mal auf die exakt gleiche Weise im männlichen Autorenkino verortet, wie seit Jahren in Interviews. Die Zeit der Rückversicherung ist für den Fünfzigjährigen an sich lange vorbei. Mit öffentlichen Angriffen auf seine extremen filmischen Entwürfe ist Noé gut vertraut und legt heute eine gewisse Entspanntheit an den Tag.
Unter den VHS-Videos findet sich auch „Suspiria“ von Dario Argento, derzeit als tolle Neuinterpretation von Luca Guadagnino im Kino zu sehen. Ein psychedelischer Horrorfilm über eine Tanzschule, in der Hexen ihr Unwesen treiben, durch und durch verziert mit kitzelnden psychedelischen Klängen.
Noés Film wirkt in seiner Freude am Schabernack und an der Geschmacklosigkeit, in seiner euphorischen Hinwendung zu Klang, Ritual und Musik wie das interessantere Remake des Hexenschockers. Wie ein Remake, das keine Worttreue benötigt und doch kaltschnäuzig bis schleimig unterschlagene gesellschaftliche und sexuelle Gewalt verhandeln will.
„Climax“. Regie: Gaspar Noé. Mit Sofia Boutella, Souhela Yacoub u. a. Frankreich 2018, 95 Min.
„Wenn du den Tanz eines anderen tanzt, schaffst du dich nach dem Bild seines Schöpfers neu“, meint Tilda Swinton bei Guadagnino und spricht damit aus, was bei Noés neuem Film als Programm erscheint: Nach seinen Ausflügen in die Tiefe und Verbindlichkeit des Qualitätskinos bei „Love“ und „Irreversible“, wendet sich Noé in „Climax“ begeistert einem ästhetischen Geschmiere zu, das jedoch nur während der Tanzszenen Kraft entwickelt und sonst frustrierend lieblos mit Figuren hantiert.
Unerwartet entzückende Leichtigkeit
Wenn getanzt wird, überträgt sich Noés schamlose Begeisterung für Gewalt, Exzess und Widerstreit in eine unerwartet entzückende Leichtigkeit. Tanz spielt hier mit Territorialdenken, mit dem Geben, Nehmen, Einnehmen, Aushebeln und Ablehnen von Körper und Raum. In den Gruppenchoreografien wirkt es, als könne sich Noé in diesem Film von seiner Grobschlächtigkeit als Ultra-Hetero-Regisseur endlich einmal befreien – bis die nächste Dialogsituation alle Hoffnung auf Befreiung wieder mit einer schablonenartigen Provokation verspielt.
Noé war abgesehen von One-Linern nie ein guter Schreiber. In Klassiker wie „Zeit zerstört alles“ reihen sich nun Sätze wie „Geboren werden ist eine einmalige Chance“ oder „Leben ist eine kollektive Unmöglichkeit“ ein. Der Mann liefert.
Die Kamera verliert die Balance und folgt doch großmütig dem weißen Chauvinisten, der eigentlich nur geliebt werden will. Nazi sein wird zur Fremdzuschreibung aus Hass und zum bloßen Missverständnis verklärt. Schwangerschaft wird Mittel zum Tabubruch und das Utopische zum Spielball. Amerika taugt als Zielscheibe, als Aufhänger für kulturelle Kriegsbegriffe und Vehikel zur Kritik an französischem Elitismus.
Noé manipuliert politische Kampfbegriffe herbei und spielt sie gegeneinander aus, arbeitet in der Beschleunigung seines Films stets musikalisch, nie didaktisch. Am Ende hat nur Substanz, was direkt und unverdünnt übers Auge läuft.
„Climax“ entpuppt sich als Noés ehrlichster Film und bringt ihn damit auf neue Art in eine Umlaufbahn zu einigen seiner Vorbilder. Ein Künstler, der seine Privilegien nutzt, um mit Nutzbarmachung und Dreck zu spielen. Einfach Exploitation.
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