: Boygroup im Abenteuerland
Bandprobe statt Sprechfolterung: Leonie Böhm macht aus Peter Handkes Kaspar-Hauser-Stück einen kurzweiligen Abend mit Musik. Zu kurz kommt leider die Schauspielerei
Von Katrin Ullmann
Eines wird schnell klar: Die beiden, die da in der Garage des Thalia-Theaters in der Gaußstraße auf der Bühne stehen, müssen bei den Proben eine Menge Spaß gehabt haben. Und haben ihn bei der Aufführung deutlich spürbar immer noch: Jörg Pohl und Johannes Rieder, der Schauspieler und der Musiker.
Wobei: Beide sind immer wieder beides. Da singt der Schauspieler und schauspielert der Musiker, oft wirkt die Inszenierung wie eine Bandprobe: Zwei, nun ja, mitteljunge Männer basteln in irgendeiner abseitigen Garage an einem neuen Album und schreiben Songtexte. Meist sind sie dabei ausgelassen, manchmal voller Zweifel oder Weltwut. Tatsächlich aber scheint auch diese Wut nur eine lässige Boygroup-Attitüde zu sein.
„Kaspar“ heißt diese Bandprobe, Grundlage für Leonie Böhms Abend ist Peter Handkes gleichnamiges Stück rund um den „rätselhaften Findling“ Kaspar Hauser. 1968, mitten hinein in die Studentenunruhen, schrieb er es, nicht um zu zeigen, „wie es wirklich ist oder wirklich war mit Kaspar Hauser“, sagte Handke damals: „Es zeigt, was möglich ist mit jemandem.“
Eine Blockhütte hat Bühnenbildner Sören Gerhardt folgerichtig in die Garage hineingestellt. Einen „Jungsabend outdoor“ erzählt Regisseurin Böhm, irgendwo zwischen „Into the Wild“, Schrebergartenidyll und Huckleberry Finn. Johannes Rieder hat es sich wildbärtig und im langen Fellmantel in der Hütte mit seiner Gitarre gemütlich gemacht. Und wenn Pohl in grell-orangefarbener Bauarbeiterjacke und mit ebenso leuchtender Fliegermütze den Raum betritt, scheinen die Themen der beiden klar: Musik, Weltschmerz – und das einfache, ehrliche Leben.
Für ihn hätte das Stück auch „Sprechfolterung“ heißen können, sagte Handke damals: „Es zeigt, wie jemand durch Sprechen zum Sprechen gebracht werden kann.“ Sätze und Syntax konjugiert Handke entsprechend als Mittel der Disziplinierung: „Ein Redekaspar, mindestens 4 Einsager“, so heißt es in der Besetzungsempfehlung des Autors.
Böhm aber verzichtet auf die Einsager. Für sie sind es keine Stimmen von außen, sondern die „inneren Kritiker, die sich dem kindlichen Wesen in uns in den Weg stellen“. Nur einmal, zu Beginn, die Szene wirkt zunächst wie ein echter Texthänger, wird die Souffleuse tatsächlich zur Einsagerin.
Da steht Pohl ganz nah am Publikum, seine Mütze ist ihm in die Stirn gerutscht, und die Souffleurin drängt ihn durch lautes Einsagen immer weiter im Text. Pohl wirkt wie mechanisiert, wehrlos spricht er die Sprachkaskaden nach, seine Stimme wird immer lauter und erregter. Und nach ein paar ziellosen Turnübungen liegt er machtlos wie Kafkas Käfer auf dem Rücken, die vier Gliedmaßen zuckend von sich gestreckt.
Natürlich rettet ihn bald der Musiker aus der hilflosen Lage. Der hat derweil Keyboard und Schlagwerk auf die Bühne geschoben und singt schmerzvoll: „Komm mit ins Abenteuerland“. Pohl hält sich am Suhrkamp-Bändchen mit dem Handke-Text fest. Hin und wieder nimmt er aber auch eine ernsthafte, eine verletzte Haltung zu Handkes sprachkritischen Passagen ein. Dann sinnt er in sich versunken seiner Sprache, seinem Gesprochenen nach.
Meist aber ist Leonie Böhms Umgang mit dem Text frei assoziativ, sie fügt selbst Erdachtes hinzu und versucht damit Kurzweiligkeit herzustellen. Die aber stürzt leider ins Unentschlossene und Beliebige. Da entsteht keine Verdichtung, keine Spannung, kaum Witz. Man glaubt der Regisseurin zu gern die Sätze, die sie im Programmheft äußert: „Wie erreichen wir Momente der Freiheit, in denen die Intuition und die Realität des eigenen Lebens in Einklang miteinander verbunden sind? Ich weiß es nicht genau, aber Spielen ist sicher eine Möglichkeit.“
Das Theaterspielen allerdings kommt an diesem Abend viel zu kurz. Die gelungeneren Szenen bleiben die musikalischen. Wenn sich Pohl und Rieder zur Miniband vereinen, wenn sie grölen und singen, dann ist der Weltschmerz ganz nah und die unterhaltsame Verzweiflung groß, das innere Kind anwesend.
Nach einer knappen Stunde wird das Licht psychedelisch und man fragt sich, was das eigentlich für Pilze in der Suppe waren, die die beiden Jungs gerade gelöffelt haben. Dann reitet erst Rieder im Glitzerkleid und mit blinkendem Fliegenpilzhut, später Pohl im Schneckenkostüm mit leuchtenden Fühlern durch den Raum – auf einem plüschigen Elektropferdchen aus der Spielzeugabteilung.
Und schließlich reitet Pohl hinaus aus dem Garagentor, dem Parkplatz entgegen. Immerhin soll Kaspar Hauser diesen einen Satz immer wieder wiederholt haben: „Ich möchte ein Reiter werden, so wie mein Vater.“
Mit diesem Bild schließt sich dann kurzzeitig auch der Bogen, zurück zum Text, den man zu diesem Zeitpunkt schon ganz verloren glaubte. Und mit diesem Bild, zu dem Rieder „Wonderful Life“ singt, erzählt Böhm zwar von einer einlullenden Versöhnung mit dem Leben – aber war da nicht eben noch ein Streit?
Sa, 1. 12., 20 Uhr, Thalia in der Gaußstraße/Garage (ausverkauft, ggf. Restkarten an der Abendkasse). Weitere Aufführungen: So, 2. 12., 19 Uhr, 4. und 27. 12., 20 Uhr
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