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Virtuose Schallplattenkratzer

TURNTABLE-TAGUNG Auf dem T.I.T.O.-Festival zeigen Turntablisten aus aller Welt, wie man mit Schallplattenspielern und den guten alten Vinylscheiben Geräusche erzeugen und Musik machen kann – alleine oder im Orchester

„Der erste ernstzunehmende Turntablist ist für mich Karl Valentin“ (Ignaz Schick)

VON TIM CASPAR BOEHME

Schallplatten klingen eben doch besser! Daran lassen die zehn Musiker in der Akademie der Künste keinen Zweifel. Im Halbkreis aufgereiht, in jeder Hand eine schwarze Scheibe, beginnen sie auf das Zeichen des Dirigenten, mit den Fingern über das Vinyl zu kratzen, die Platten aufeinander zu schlagen, um sie schließlich zu zerbrechen und die Splitter auf dem Boden zu verteilen. Die Komposition des einflussreichen Schallplattenexperimentators Christian Marclay aus dem Jahr 1982 trägt den ironischen Titel „Record Players“. Am Donnerstag erklang sie zur Eröffnung des Festivals T.I.T.O., kurz für The International Turntable Orchestra, dem ersten Festival für Musik, die ausschließlich mit Plattenspielern erzeugt wird. Um die Tonarmvirtuosen von herkömmlichen DJs zu unterscheiden, nennt man sie Turntablisten.

Loops und Rückkopplung

Ignaz Schick, künstlerischer Leiter des T.I.T.O.-Festivals und einer der bekanntesten Turntablisten der Berliner Improvisationsszene, hatte die Idee zu einer Tagung, auf der sich Schallplattenkünstler aus aller Welt treffen können, um Stücke für große Ensembles zu erarbeiten. Angesichts der unterschiedlichen Ansätze ein anspruchsvolles Vorhaben. Der britische Turntable-Pionier Philip Jeck ist bekannt für Loopschichtungen, die er einer Vielzahl von Schallplatten entnimmt und zu lakonischen Monumenten auftürmt, während Arnaud Rivière aus Paris seinem Gerät mit selbst gebauten Apparaten zu Leibe rückt, um Rückkopplungen und andere Brummfrequenzen zu erzeugen.

Manche Musiker verwenden selbst geschnittene Schallplatten, andere arbeiten lediglich mit dem Plattenspieler als Klangerzeuger. Bei Ignaz Schick etwa geht es nur noch „um den kreisenden Plattenteller“, der mit Geigenbogen oder Plastiklöffel bearbeitet wird. Die Geschichte des Plattenspielers, der jenseits seiner eigentlichen Funktion als manipulativer Klangerzeuger verwendet wird, reicht zurück in die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts.

Der Komponist John Cage setzte 1939 zwei Fonografen für sein Stück „Imaginary Landscape No. 1“ ein. Ignaz Schick datiert die Geschichte des Schallplattenspielers als Instrument sogar noch weiter zurück: „Der erste ernstzunehmende Turntablist ist für mich Karl Valentin mit dem Film ‚Im Schallplattenladen‘.“ In diesem Film aus dem Jahr 1934 lässt Valentin diverse Schellacks zu Bruch gehen. „Auf eine bestimmte Art ist es der Beginn der Klangkunst.“

Dass der Turntablism derzeit wieder so großes Interesse weckt, hat für Schick unter anderem mit dem Überdruss an der Laptop-Musik zu tun: „In den letzten zehn Jahren lag der Fokus in der experimentellen Musik sehr auf Laptops. Wenn kein Laptop dabei ist, kann es kein gutes Konzert sein. Und dann ist genau das Gegenteil eingetreten – keiner konnte es mehr sehen.“ Schick kann sich daher seit einigen Jahren über Anfragen freuen: „Das Publikum will wieder handgemachte Musik sehen.“

In der Generalprobe zu Schicks Stück „Archival Drift“ bekam man jedoch nicht sonderlich viel zu sehen. Die auf der Bühne der Akademie versammelten Musiker saßen während der Aufführung mehrheitlich ruhig an ihren Plattentellern. Was sie dort im Einzelnen anstellten, blieb dem Blick meistens verborgen, auch wenn sie die Klänge permanent im Fluss hielten. Ihre mal luftig flirrenden, mal undurchdringlich dröhnenden Improvisationen drohten dabei hin und wieder im Dezibel-Overkill verloren zu gehen. Die Sehnsucht nach Handgemachtem wird bei T.I.T.O. nicht nur durch ein umfangreiches Konzertprogramm bedient: Während des gesamten Festivals gibt es im Foyer der Akademie auch einen Vinylschneideservice, bei dem man miterleben kann, wie Schallplatten gepresst werden. Sofern die Kapazitäten es erlauben, können sich Besucher eigene CDs als Vinyl schneiden lassen.

■ T.I.T.O. – The International Turntable Orchestra, bis zum 25. Oktober, Akademie der Künste, Hanseatenweg 10

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