Forscherin über Krieg im Jemen: „Meine Mutter hat jeden Tag Angst“
Die Kriegsparteien im Jemen wollen Friedensgespräche führen. Zumindest ein guter Schritt, sagt die aus Jemen stammende Analystin Ghaida Al-Rashidy.
Frau Al-Rashidy, die UNO bezeichnet die Situation im Jemen als schlimmste humanitäre Katastrophe der Welt. Dennoch wird wenig über den Krieg berichtet. Warum?
Ghaida Al-Rashidy: Wir haben keine Grenze mit Israel und wenig Öl. Und aus dem Jemen kommen keine Flüchtlinge nach Europa. Deswegen ist das Interesse am Jemen gering.
Die Ermordung von Jamal Khashoggi im saudischen Konsulat in Istanbul hat die Situation im Jemen aber ins Bewusstsein der Öffentlichkeit gerückt. Deutschland hat vorerst Waffenlieferungen nach Saudi-Arabien ausgesetzt, da die Saudis im Jemen seit 2015 einen Luftkrieg gegen die schiitischen Huthi-Rebellen anführen. Wird sich dadurch etwas ändern?
Ich bin sehr traurig darüber, was mit Khashoggi passiert ist. Doch der Fall hat mehr Aufmerksamkeit generiert, als es der Krieg im Jemen je getan hat. Ich wünschte mir, die Regierungen würden Waffenlieferungen nach Saudi-Arabien wirklich aussetzen. Aber ich befürchte, das Schicksal der Jemeniten interessiert sie nicht wirklich.
32, kommt aus der jemenitischen Küstenstadt Aden. Seit 2016 lebt sie im Libanon. Sie forscht am Sanaa Center for Strategic Studies in Beirut.
Als das von Saudi-Arabien geführte Militärbündnis 2015 im Jemen intervenierte, rechnete es damit, die Huthis in wenigen Monaten zu besiegen. Mittlerweile dauert der Krieg über drei Jahre. Warum macht Saudi-Arabien weiter?
Erstens wegen des Irans. Den Krieg in Syrien haben die Saudis verloren – den im Jemen können sie nicht auch noch verlieren. Zweitens haben sie Angst, weil sie eine lange Grenze mit Jemen teilen. Das Gebiet dort ist schiitisch. Und nicht zuletzt ist der Krieg das Projekt des saudischen Kronprinzen Mohammed bin Salman. Für ihn und seine Karriere wäre eine Niederlage im Jemen eine Katastrophe.
Der Konflikt: Infolge des Arabischen Frühlings 2011 wurde der Diktator Ali Abdullah Salih gestürzt. Die folgende Führung unter Abd Rabbo Mansur Hadi konnte dem Ansturm der Huthi-Rebellen nicht Stand halten. Sie floh ins Exil. Seit 2015 versucht Saudi-Arabien, mit einer arabischen Militärkoalition die alte Regierung wieder zu installieren.
Die Kriegsparteien: Die Huthis werden vom Iran unterstützt, die Hadi-Regierung von der Militärkoalition und ihren westlichen Verbündeten.
Die Friedensgespräche: Am Montag erklärten sich beide Parteien zu einer Waffenruhe und Verhandlungen bereit. Der UN-Sondergesandte Martin Griffith hatte sich darum bemüht. Die letzte Runde in Genf war im September gescheitert. Die Gespräche sollen in Schweden geführt werden. (hag)
Am Montag haben sich die Kriegsparteien zu einer Waffenruhe und zu Friedensverhandlungen bereit erklärt. Was bedeutet das?
Es ist ein guter Schritt. Die Huthis nutzen aus, dass Saudi-Arabien wegen des Falls Khashoggi international in einem schlechten Licht steht. Wenn jetzt auch Saudi-Arabien das Angebot für einen Waffenstillstand akzeptiert, ist der Druck auf die Regierung umso größer, in den Verhandlungen auf die Forderungen der Huthis einzugehen.
Sie haben im Zuge des Arabischen Frühlings 2011 angefangen, sich in Ihrer Heimatstadt Aden zu engagieren. Was wollten Sie erreichen?
Als die Revolution ausbrach, hatte ich das Gefühl, etwas für meine Gesellschaft tun zu müssen. Der Südjemen war seit der Wiedervereinigung 1990 stets ärmer als der Norden, weil das Geld und die Macht bei den Eliten in der Hauptstadt Sanaa lagen.
2016 mussten Sie Aden verlassen, weil al-Qaida Sie auf eine Todesliste setzte.
Ich arbeitete damals für den roten Halbmond. Mir folgte ständig ein Taxi mit maskierten Männern. Als meine Mutter davon erfuhr, hat sie mich vor die Wahl gestellt: Entweder du verlässt das Haus nicht mehr oder du verlässt das Land. Ich bin nach Beirut gezogen. Von hier kann ich mehr machen als von Aden aus. Die Bevölkerung im Jemen hat keine Stimme.
Wie ist die Situation im Jemen heute?
In Aden werden Leute gekidnappt, es gibt Anschläge. Meine kleine Schwester studiert an der medizinischen Hochschule und meine Mutter hat jeden Tag Angst um sie, wenn sie das Haus verlässt. Wer Geld hat, wandert aus. Gleichzeitig ist die Mittelklasse in die Armut abgerutscht. Die Menschen hungern, haben kaum Zugang zu medizinischer Versorgung. Achtzig Prozent der Infrastruktur sind zerstört. Auf dem Markt gibt es zwar alles zu kaufen – aber wegen der Inflation und dem fehlenden Lohn kann sich die Sachen kaum jemand leisten.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Haftbefehl gegen Netanjahu
Sollte die deutsche Polizei Netanjahu verhaften?
Buchpremiere von Angela Merkel
Nur nicht rumjammern
Deutscher Arbeitsmarkt
Zuwanderung ist unausweichlich
#womeninmalefields Social-Media-Trend
„Ne sorry babe mit Pille spür ich nix“
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Rechtspopulistinnen in Europa
Rechts, weiblich, erfolgreich