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Ein vollendetes Leben

Peter Kuckuks Forschungen haben das Wissen über die Bremer Räterepublik erfolgreich revolutioniert. Gerhard Engel, Biograf ihrer Zentralfigur, erinnert anlässlich Kuckuks Beerdigung an seinen geschätzten Kollegen und späten Freund

Von Gerhard Engel

Um das Jahr 1970 wurde mir Peter Kuckuks Name zum Begriff, als ich seine Quellenedition zu Revolution und Räterepublik in Bremen in die Hand bekam. 1972 rezensierte ich sie in der Ostberliner „Zeitschrift für Geschichtswissenschaft“. Ich lobte den Wert der Arbeit für die weitere Erforschung der Rätebewegung in der Revolution 1918/19. Ich tadelte das Buch, weil der Autor den Kommunisten zwar zugestanden habe, ihre Aktionen seien wirksame Mittel der Machteroberung gewesen, aber in der praktischen Politik hätten sie sich als ungeeignet erwiesen.

Das Urteil folgte dem Grundaxiom der DDR-Geschichtsschreibung über die Novemberrevolution 1918, dass Spartakus und KPD die wichtigsten – obwohl noch erfolglosen – Akteure der Revolution gewesen seien. Demzufolge musste positiven Aussagen über Sozialdemokraten in der Revolution widersprochen werden.

Erst mehr als drei Jahrzehnte später, als mein Geschichtsbild durch die Erfahrung des Scheiterns der DDR bereichert worden war und ich mich, wie schon 1965/66, mit Johann Knief und den Bremer Linksradikalen befasste, lernte ich das vollständige revolutionsgeschichtliche Werk Peter Kuckuks kennen. Es gehörte fortan zum Grundkanon jener wissenschaftlichen Literatur, auf die ich mich stützen konnte. Peter Kuckuks Standardwerk „Bremen in der deutschen Revolution 1918/1919“ gehört für mich zu den bedeutendsten Forschungsarbeiten über die Revolution vor 100 Jahren. Ihre Bedeutung reicht weit über eine regionalwissenschaftliche Arbeit hinaus. Ich konnte sie erst jüngst in einer Rezension würdigen, die der erweiterten Neuauflage von 2017 galt.

2007 nahm ich telefonischen Kontakt mit ihm auf. Wir knüpften an das an, was wir jeweils über die Geschichte der Bremer Arbeiterbewegung geschrieben hatten und begannen einen über Jahre andauernden fruchtbaren Dialog.

Als ich einen Archivbesuch in Bremen plante, fragte ich ihn, ob er ein preisgünstiges Quartier für mich wisse. Seine prompte Antwort war: Ja, in der Freudenbergstraße 13 in Bremen stehe im Mai 2008 seine Wohnung leer, weil er auf Mallorca sein werde. Bei Ankunft im Staatsarchiv fände ich einen Briefumschlag vor mit Schlüsselbund, Wegbeschreibung und Hinweisen zur Benutzung der Haushaltsgeräte. Und so kam es: Am 13. Mai 2008 händigte man mir im Archiv nach Prüfung meiner Identität das besagte Kuvert aus.

Peter Kuckuk

Am 27. 8. 2018 im Alter von 80 Jahren gestorben, war bis 1998 Professor für Regionalgeschichte an der Hochschule Bremen. Epochal sind seine Forschungen zur Revolution von 1918, die er seit der Dissertation über Bremer Linksradikale (1970) verfolgte. Heute wird er auf dem Friedhof Riensberg beerdigt – am 100. Jahrestag der Machtübernahme in Bremen durch Arbeiter- und Soldatenräte.

Ich war hoch erfreut und zugleich verblüfft über den außerordentlichen Vertrauensbeweis Peter Kuckuks gegenüber einem Menschen, den er nie gesehen hatte. Er ließ mich eine solidarische Haltung erleben, die weit über Kollegialität hinausging.

Nach meinen Archivstudien verließ ich Bremen, ohne dass wir uns gesehen hätten. Für eine mögliche spätere Begegnung hatte ich mir freilich sein Gesicht eingeprägt. In meinem zeitweiligen Domizil, seiner Wohnung, hing ein ausdrucksstarkes Porträt.

Als ich an meiner Knief-Biographie schrieb, verhalfen mir telefonische Kontakte – leider verschmähte Peter Kuckuk den E-Mail-Verkehr – zu mancher Konsultation. Das gilt auch für Karin Kuckuk, die zeitgleich das Leben Charlotte Kornfelds untersuchte, sodass wir einander unterstützen konnten.

Die erste persönliche Begegnung mit Peter Kuckuk kam bei meinem nächsten Besuch Bremens am 12. Januar 2009 zustande. Wir hatten uns in einem chinesischen Restaurant unweit seiner Wohnung verabredet. Es wurde ein denkwürdiger Abend. Wir erzählten einander unsere durch die Sozialisation in Ost und West unterschiedlich geprägten Lebensläufe, deren Quintessenz jedoch am Ende die Übereinstimmung ergab, dass unser beider Herzen nicht nur biologisch, sondern auch politisch links schlugen.

Wir fachsimpelten über die Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung – natürlich unter besonderer Berücksichtigung der Bremer – und stellten auch hier mehr Einigkeit als normalen Dissens fest. Am Ende verständigten wir uns auf die Anrede mit kameradschaftlichem „Du“.

Gerhard Engel , 84, hat als Historiker zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung und der Bremer SPD geforscht. Professur an der Humboldt Uni Ost-Berlin seit 1972, von 1977 bis 1989 war er stellvertretender Minister für Hoch- und Fachschulwesen der DDR.

Am folgenden Abend moderierte Peter die unvergessene Veranstaltung im Bremer Gewerkschaftshaus, als Karin Kuc­kuk und ich unsere biographischen Arbeiten über Charlotte Kornfeld und Johann Knief öffentlich vorstellen konnten.

Peter und ich sahen uns in der Folgezeit immer wieder einmal, wenn ich zu Vorträgen in die Villa Ichon eingeladen war. Wir diskutierten in seiner Wohnung oder trafen uns zum Essen in einem Restaurant. Ich verdanke ihm die wohl ausführlichste Rezension meiner Knief-Biographie, die er im Bremischen Jahrbuch veröffentlichte.

Mit Sorge verfolgte ich den seine Arbeit lähmenden Leidensdruck durch Krankheit und familiäres Unglück. Zuletzt telefonierten wir miteinander, als ich ihm zu seinem 80. Geburtstag gratulierte. Geblieben und unübersehbar sind sein wissenschaftliches Werk und die dankbare Erinnerung daran, mit Peter Kuckuk ein Stück gemeinsamen Weges gegangen zu sein.

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