: Fünf Jahre ohne Sex
Das Modersohn-Becker-Museum vereint in einer Ausstellung erstmals das Malerpaar Paula und Otto und verdeutlicht dabei, warum dieses naheliegende Konzept noch niemand realisiert hat
Von Benno Schirrmeister
Jetzt läuft sie auch schon wieder eine ganze Weile: „Kunst und Leben“ heißt die Ausstellung, mit der das Paula-Modersohn-Becker-Museum erstmals, nach Motivgruppen sortiert, die Werke der Hausheiligen und ihres Mannes gegenüberstellt. Eröffnung war irgendwann Ende August. Und lautete bis dahin die Frage: Warum eine solche Gegenüberstellung der beiden noch nie unternommen wurde, ist an deren Stelle nun die getreten: Wozu überhaupt? Denn nein: Auch wenn sie dieselben Motive wählen, auch wenn sie ihre Staffelei am selben Tag zur gleichen Uhrzeit am selben Torfkanal aufgebaut haben, die entstandenen Gemälde haben trotz Gleichheit des Gegenstandes meist so gar nichts miteinander zu tun, sie bleiben einander fremd, komplett, vom Ansatz her: Während sie die Stieftochter Elsbeth im Garten malt, malt er den Garten mit Elsbeth drin. Oder während sie seinen Kopf liebevoll karikierend porträtiert, wie er, die Brille auf der Nase, beim Lesen weggedämmert ist, bringt er sie als gespenstisch weiße Erscheinung weit hinten im nächtlich blauenden Garten auf die Leinwand.
Schon der im vergangenen Jahr im Insel-Verlag veröffentlichte Briefwechsel, auf den sich die Ausstellung bezieht, verblüfft ja durch seine Langeweile: Diese beiden hatten einander außer gelegentlichem Bestaunen und Bewundern der Arbeit des anderen über Kunst nur sehr wenig mitzuteilen – und nichts, was über Banalstes hinausgegangen wäre. Und so hängen auch ihre Bilder nebeneinander und kommunizieren untereinander nicht. Die zwei malen strikt aneinander vorbei, als wäre man in irgendeinem August-Strindberg-Drama, bloß ohne Gewalt und Hass. Und die ersten fünf Ehejahre angeblich auch ohne Sex.
Stattdessen: Respekt und völliges Einverständnis, das ja eben blind und unausgesprochen und kontaktlos funktioniert, wie zwischen zwei Leibniz’schen Monaden. Und damit ist schon mal eine wichtige erste Einsicht benannt, die diese Synopse ermöglicht. Denn durch die klebrig-psychologisierende Paula-Becker-Biografistik, bei Barbarba Beuys oder der kitschtriefenden Kerstin Decker, zieht sich der Topos vom tyrannischen Ehemann, der neidisch auf ihr größeres Talent die künstlerische Arbeit der Frau behindert. Eine Rolle, die Otto Modersohn nie auch nur annähernd gespielt hat.
Im Gegenteil, Paulas Paris-Reiserei finanziert er, ihr Trennungswunsch macht ihn zwar tief unglücklich, aber er begegnet ihm mit Zärtlichkeit, er wirbt um sie – und selbst wenn er zuerst nicht kapiert, was sie da malt, in seinen Tagebucheinträgen überwiegt doch die Bewunderung für das Genie, seine Frau, für ihr spektakuläres Farbgefühl, ihre visionäre Kraft. „Keiner kennt sie, keiner schätzt sie“, schreibt er über diese bereits 1902 in seinem Tagebuch; „das wird anders werden“. Sein eigenes Schaffen beurteilt er dagegen streng als zu gefällig, niedlich und nett.
Das bezeichnet auch das Risiko dieser Ausstellung für die Modersohn-Rezeption. Denn charakterliche Ehrenrettung gut und schön, aber der Wucht und Gradlinigkeit von Paula Beckers Malerei ist seine Kunst oft genug nicht gewachsen, und nicht immer gelingt es, das auf seine introvertiertere Herangehensweise zu schieben: Am ehesten noch in den reinen Landschaften, bei denen beide auf ihre Weise den Gegenstand in den Bewusstseinszustand bloßer Farbigkeit auflösen, kann der Eindruck von Ebenbürtigkeit entstehen. Meist aber, und immer, wenn Menschen im Spiel sind, wirken seine Gemälde nahezu verunsichert: Er sucht – sie findet. Es ist zum Verzweifeln.
Ein gutes Beispiel dafür geben die Schützenfest-Bilder: Bei Paula ein Strudel aus Lichtern und pastösen Farben in einer fast wie besoffen aus dem Gleichgewicht geratenen Komposition, die den Betrachter umfängt wie der Geruch von Poffertjes am Abend. Das ist Kunst, das ist Leben. Bei ihm dagegen hält ein konventioneller Bildaufbau mit zentral platziertem Karussell das ganze Kirmesgeschehen auf Abstand. Links macht er aus einer Frauengruppe einen Nebenschauplatz, verzettelt sich oben in der schwarz geklöppelten Silhouette eines Herbstbaums vorm klaren Abendhimmel. Und in dem lässt er noch eine pflichtschuldige Fahne anzeigen, dass Flaute herrscht.
Bis 6. 1. 2019, Museum Böttcherstraße
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