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Die Stadt ist für uns alle da

Offene Stadt? Im Berliner Haus der Kulturen der Welt stritt sich Richard Sennett nicht mit Andrej Holm

Von Katharina Granzin

Die Frage hatte sie sich bestimmt vorher überlegt. Doch war es nicht geschickt von der Moderatorin, im Anschluss an Richard Sennetts Vortrag über das Wesen und Planen einer „offenen Stadt“ als Erstes zu sagen, sie vermisse darin ein wenig „das Politische“. – „Hast du etwa nicht zugehört?“, rief da prompt einer aus dem Publikum. Sennett, der amerikanische Soziologe und Städteplaner, hatte unter anderem von einem Projekt in Caracas erzählt, das mit der gezielten Platzierung öffentlicher Einrichtungen zwischen einem Reichen- und einem Slumviertel für größere soziale Durchmischung sorgen soll. Oder von einem Projekt in den achtziger Jahren, bei dem arme schwarze Kinder in einer amerikanischen Ostküstenstadt mit Bussen durch die Stadt gekarrt wurden, damit sie mit gutsituierten weißen Kindern in die Schule gehen konnten.

Das Konzept einer „offenen Stadt“ ist politisch in einer ganz ursprünglichen Bedeutung des Wortes, zielt es doch darauf ab, eine Art Polis herzustellen, einen öffentlichen Raum mit der Möglichkeit der Teilhabe aller. In seinem neuen Buch „Die offene Stadt“ (Hanser Verlag, 32 Euro) verwendet Sennett den Polis-Begriff aber nicht. Er spricht von der „cité“ – der Stadt als mentaler und kultureller Gesamtverfasstheit ihrer EinwohnerInnen.

Die einigermaßen marktschreierische Ankündigung der Veranstaltung mit dem Titel „Der Kampf um die Stadt“ war dazu angetan, die Erwartungen in eine Richtung zu lenken. Neben Sennett war Andrej Holm geladen, der sozusagen als Personifikation des Berliner Lokalkampfes um bezahlbaren Wohnraum und gegen den Ausverkauf der Stadt auf der Bühne des HKW saß. Zwischen den Männern hatte man Francesca Bria platziert, ihres Zeichens „Chief Technology and Innovation Officer“ in der Stadtverwaltung von Barcelona, wo sie den digitalen Wandel der Stadt zu einer Smart City im Dienste der Bürger betreibt.

Alle drei hatten gute und wichtige Dinge zu sagen. Es passte nur an den Kanten nicht richtig zusammen: Eine Podiumsveranstaltung reicht wohl als Rahmen nicht aus, um auf so verschiedenen Ebenen gelagerte Perspektiven zu einer Synthese zu vereinen.

Widerstand allein sei nicht genug, wandte Sennett nach einem kämpferischen Wortbeitrag Holms ein, es brauche vor allem Kreativität. Worauf Holm sich freute, dass man nun über etwas streiten könne, und darauf bestand, dass die Berliner Initiativen Ausdruck jener offenen Stadt seien, die Sennett beschreibe – und die in Berlin verloren zu gehen drohe. Francesca Bria sekundierte, dass keines der in Barcelona durchgeführten Projekte ohne die Beteiligung der Bürger und privater Initiativen möglich gewesen wäre.

So war man sich im Prinzip einig über alles, saß aber zugleich in drei Diskurs-Booten, die nebeneinanderher schipperten. An Biss hätte die Situation sicher gewonnen, wenn man Berliner Politprominenz in aktueller Verantwortung geladen hätte. Denn klar ist: Die offene Stadt, wie Sennett sie denkt, ist nur realisierbar, wenn die öffentliche Hand dahinter steht.

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